Grab im Wald
glauben.«
York blickte auf. »Was?«
»Ich habe den Volkswagen im Computer gefunden. In den drei umliegenden Staaten sind nur drei Stück zugelassen, auf die die Beschreibung passt. Aber jetzt kommt’s. Einer ist auf den Namen Ira Silverstein zugelassen. Sagt dir der Name was?«
»Ist das nicht der Kerl, dem damals das Ferienlager gehört hat?«
»Genau das ist er.«
»Willst du mir sagen, dass Copeland womöglich die ganze Zeit Recht hatte?«
»Ich hab die Adresse von diesem Ira Silverstein rausgesucht«, sagte Dillon. »Das muss wohl so eine Art Pflegeheim sein.«
»Worauf warten wir dann noch«, sagte York. »Schnappen wir ihn uns.«
35
Als Lucy in den Wagen stieg, stellte ich die CD an. Bruce Springsteens Back in Your Arms startete. Sie lächelte. »Du hast es schon gebrannt?«
»Ja.«
»Gefällt’s dir?«
»Sehr. Ich hab noch ein paar andere Stücke von ihm mitgebrannt. Ein Bootleg von einer seiner Solo-Touren. Drive All Night. «
»Bei dem Song fang ich immer an zu heulen.«
»Du fängst bei jedem Song an zu heulen«, sagte ich.
»Nicht bei Super Freak von Rick James.«
»Oh, dann nehm ich das zurück.«
»Und bei Promiscuous fang ich auch nicht zu heulen an.«
»Auch nicht, wenn Nelly singt: ›Is your game MVP like Steve Nash?‹«
»Gott, du kennst mich aber verdammt gut.«
Ich lächelte.
»Du wirkst ziemlich ruhig für jemanden, der gerade erfahren hat, dass seine totgeglaubte Schwester noch am Leben sein könnte.«
»Abschottung.«
»Ist das ein Wort?«
»Das mache ich. Ich stecke die Sachen in verschiedene Schachteln. Dann kümmere ich mich nur um die eine und blende alles andere aus. Nur so übersteh ich diesen Wahnsinn.«
»Abschottung«, sagte Lucy.
»Genau.«
»Wir Psychologen haben dafür einen anderen Begriff«, sagte Lucy. »Wir nennen es Verleugnung.«
»Nenn’s, wie du willst. Jetzt haben wir einen Hinweis, Luce. Wir werden Camille finden. Es geht ihr gut.«
»Auch dafür haben wir Psychologen einen Begriff. Wir nennen es Wunschdenken oder manchmal sogar Wahnvorstellung.«
Wir fuhren weiter.
»Was könnte deinem Vater denn wieder eingefallen sein?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Aber wir wissen doch, dass Gil Perez bei ihm war. Ich vermute, dass dieser Besuch irgendwas in Iras Kopf ausgelöst hat. Was, weiß ich auch nicht. Es kann auch was völlig Belangloses sein. Es geht ihm nicht gut. Vielleicht hat er sich das auch nur eingebildet oder ausgedacht.«
Wir parkten in der Nähe von Iras VW-Käfer. Es war komisch, den alten Wagen wiederzusehen. Er hätte mich in die Vergangenheit zurückholen müssen. Ira ist damals im Ferienlager dauernd damit rumgefahren. Er hat den Kopf aus dem Fenster gesteckt und jedem zugelächelt, wenn er ein paar Kleinigkeiten vorbeigebracht hat. Immer wieder hat er den Käfer auch von den verschiedenen Hütten schmücken lassen und ist dann wie bei einer Parade ein oder zwei langsame Runden gefahren. Im Moment empfand ich aber nichts beim Anblick des alten Volkswagens.
Meine Abschottung drohte zu zerbrechen.
Weil ich wieder Hoffnung hatte.
Ich hoffte, dass ich meine Schwester fand. Ich hoffte, dass ich zum ersten Mal seit Janes Tod eine echte Bindung zu einer Frau aufbauen konnte, dass ich meinen Herzschlag neben dem eines anderen Menschen spüren würde.
Ich versuchte, mich zu warnen. Ich erinnerte mich mahnend daran, dass Hoffnung die grausamste Geliebte war, dass sie einen zermalmen konnte wie einen Styropor-Becher. Aber das nützte nichts. Ich wollte diese Hoffnung. Ich wollte sie hegen und pflegen, damit ich dieses Hochgefühl noch eine Weile genießen konnte.
Ich sah Lucy an. Sie lächelte, und dieses Lächeln ging mir bis ins Mark. Es war so lange her, dass ich diesen unbändigen Rausch verspürt hatte. Dann überraschte ich mich selbst. Ich streckte beide Arme aus und legte sie hinter ihren Kopf. Ihr Lächeln verschwand. Ihr Blick suchte meinen. Behutsam drehte ich ihren Kopf zur Seite und küsste sie so sanft, dass es schon fast schmerzte. Ich zitterte kurz. Lucy schnappte nach Luft. Dann erwiderte sie den Kuss.
Ich war tief ergriffen vor Glück.
Lucy legte mir den Kopf auf die Brust. Ich hörte sie leise schluchzen. Ich ließ sie, streichelte nur sanft ihre Haare und kämpfte gegen den Schwindel an, der mich erfasst hatte. Ich weiß nicht, wie lange wir so dasaßen. Vielleicht fünf Minuten, vielleicht eine Viertelstunde. Ich weiß es einfach nicht.
»Geh lieber rein«, sagte sie.
»Und du willst wirklich
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