Grab im Wald
kann, haben wir es mit einem ziemlich vollständigen Skelett zu
tun. Es lag knapp einen Meter tief. Für eine eindeutige Identifikation muss ich die Knochen allerdings ins Labor bringen.«
»Und was können Sie mir jetzt dazu sagen?«
»Kommen Sie.«
Sie führte Muse auf die andere Seite der Grube. Die Knochen waren markiert und auf einer blauen Plane ausgelegt.
»Keine Kleidung?«, fragte Muse.
»Nein.«
»Ist sie verrottet, oder wurde die Leiche nackt begraben?«
»Genau kann ich es nicht sagen, aber da es weder Münzen noch Schmuck, Reißverschlüsse oder auch Schuhe gibt – diese Dinge halten sich normalerweise sehr lange –, würde ich auf nackt tippen.«
Muse starrte den braunen Schädel an. »Todesursache?«
»Dafür ist es noch zu früh. Aber ein paar Dinge wissen wir.«
»Zum Beispiel?«
»Die Knochen sind in einem ziemlich schlechten Zustand. Sie waren nicht so tief vergraben und liegen da schon eine ganze Weile.«
»Wie lange?«
»Schwer zu sagen. Ich habe letztes Jahr ein Seminar über Bodenproben an Tatorten gemacht. An der Festigkeit und Beschaffenheit des Bodens kann man feststellen, wie lange es her ist, dass ein Loch gegraben wurde. Das sind allerdings alles nur vage Schätzungen.«
»Haben Sie irgendwas für mich? Eine grobe Schätzung?«
»Die Knochen liegen schon lang hier. Mindestens fünfzehn Jahre, würde ich schätzen. Kurz gesagt – und um die Frage, die Ihnen durch den Kopf geht, zu beantworten –, es passt zu den Morden, die hier vor zwanzig Jahren stattgefunden haben. Es passt sogar sehr gut.«
Muse schluckte und stellte die Frage, die sie schon von Anfang an stellen wollte.
»Können Sie feststellen, ob das ein Männer- oder ein Frauenskelett ist?«
Eine tiefe Stimme unterbrach sie: »Äh, Doc?«
Das war einer der Forensiker in der unvermeidlichen Windjacke, die ihn als Mitglied dieser Berufsgruppe auswies. Der stämmige Mann mit kräftigem Bart und einer noch kräftigeren Bauchpartie hielt eine kleine Schaufel und atmete den angestrengten Atem der Untrainierten.
»Was ist, Terry?«, fragte O’Neill.
»Ich glaub, wir haben’s jetzt.«
»Sie wollen Schluss machen?«
»Ja, jedenfalls für heute Abend. Vielleicht können wir morgen noch mal rauskommen und uns die nähere Umgebung angucken. Jetzt würden wir die Leiche aber gern abtransportieren, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Geben Sie mir noch zwei Minuten«, sagte O’Neill.
Terry nickte und ging. Tara O’Neill betrachtete die Knochen.
»Kennen Sie sich mit dem menschlichen Skelett aus, Ermittlerin Muse?«
»So halbwegs.«
»Ohne eine gründliche Untersuchung kann es ziemlich schwierig sein, den Unterschied zwischen einem Männerskelett und einem Frauenskelett zu erkennen. Die Größe und Dichte der Knochen ist ein Merkmal. Männerknochen sind oft etwas dicker und natürlich auch größer. Manchmal hilft auch die Körpergröße – Männer sind bekanntlich größer als Frauen. Das sind aber alles nur Anhaltspunkte, die kein eindeutiges Ergebnis liefern.«
»Wollen Sie sagen, Sie wissen es nicht?«
O’Neill lächelte. »Das wollte ich keineswegs sagen. Ich zeig Ihnen was.«
Tara O’Neill ging in die Hocke. Muse hockte sich neben sie. O’Neill hatte eine schmale Taschenlampe in der Hand.
»Ich habe gesagt, dass es ziemlich schwierig ist. Nicht unmöglich. Schauen Sie.«
Sie richtete den dünnen aber kräftigen Strahl der Taschenlampe auf den Schädel.
»Wissen Sie, was Sie hier vor sich sehen?«
»Nein«, sagte Muse.
»Erstens scheinen die Knochen ziemlich dünn zu sein. Zweitens, sehen Sie sich die Stelle an, über der die Augenbrauen gewesen wären.«
»Okay.«
»Das ist die Augenhöhlenleiste. Sie ist bei Männern stärker ausgeprägt. Eine Frauenstirn verläuft relativ senkrecht nach oben. Also, obwohl der Schädel ziemlich verwittert ist, erkennt man, dass die Leiste nicht sehr ausgeprägt war. Der eigentliche Schlüssel ist aber – und das will ich Ihnen hier zeigen – der Beckenbereich, und, um genau zu sein, die Beckenhöhle.«
Sie fuhr mit der Taschenlampe nach unten. »Sehen Sie sie?«
»Ja, ich glaub schon. Und?«
»Sie ist ziemlich breit.«
»Und das bedeutet?«
Tara O’Neill schaltete die Taschenlampe aus.
»Das bedeutet«, sagte O’Neill, und stand wieder auf, »dass das Opfer weiß und ungefähr einen Meter siebzig groß war – so groß war Camille Copeland übrigens – und dass es sich um ein Frauenskelett handelt.«
Dillon sagte: »Du wirst es nicht
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