Grab im Wald
bin nie ein Freund von Alkohol gewesen. Mein Ding war immer das, was man jetzt Freizeitdrogen nennt. Aber ich will nur ein Glas Wasser. Da drüben im Kühlschrank sind ein paar Flaschen Poland Spring. ›Did you know that Poland Spring comes to you straight from Maine?‹ «
Er lachte, und ich korrigierte den alten Spruch aus der Radiowerbung nicht. Er stand auf und stolperte nach rechts. Ich folgte ihm. Da stand eine Kühltruhe mit einem New York Rangers -Emblem.
Er öffnete den Deckel, nahm eine Flasche heraus, reichte sie mir und nahm sich auch eine. Er schraubte den Deckel ab und trank glucksend. Das Wasser lief ihm aus den Mundwinkeln, und sein weißgrauer Bart wurde dunkler.
»Aaahh«, sagte er, als er fertig war.
Ich versuchte, ihn wieder aufs Thema zurückzubringen.
»Lucy hat mir gesagt, dass du mich sprechen willst.«
»Stimmt.«
»Warum?«
»Weil du hier bist.«
Ich wartete.
»Ich bin hier«, sagte ich langsam, »weil du mich sprechen wolltest.«
»Nicht hier hier. Hier, also wieder zurück in unserem Leben.«
»Das hab ich dir doch schon gesagt. Ich will rauskriegen …«
»Warum gerade jetzt?«
Wieder diese Frage.
»Weil«, sagte ich, »Gil Perez in jener Nacht nicht gestorben ist. Er ist wieder zurückgekommen. Er hat dich besucht, stimmt’s?«
Iras Blick starrte ins Unendliche. Er ging weg. Ich folgte ihm.
»War er hier, Ira?«
»Nicht unter dem alten Namen«, sagte er.
Er ging weiter. Ich sah, dass er hinkte. Er verzog das Gesicht vor Schmerz.
»Ist alles okay?«, fragte ich.
»Ich muss laufen.«
»Wohin?«
»Da sind Wege. Im Wald. Komm.«
»Ira, ich bin nicht hier, um …«
»Er hat gesagt, dass er Manolo Santiago heißt. Aber ich wusste, wer er ist. Der kleine Gil Perez. Erinnerst du dich an ihn? Von früher, meine ich?«
»Ja.«
Ira schüttelte den Kopf. »Netter Junge. Aber man konnte ihn sehr leicht beeinflussen.«
»Was wollte er?«
»Er hat mir nicht gesagt, wer er ist. Zuerst wenigstens nicht. Er sah auch ganz anders aus als früher, aber irgendwie hab ich ihn an seinem Verhalten erkannt, weißt du? Manche Dinge kann man verstecken. Man kann dick werden. Aber Gil hat immer noch ein bisschen gelispelt. Und er hat sich noch genauso bewegt wie früher. Als ob er die ganze Zeit auf der Hut wäre. Weißt du, was ich meine?«
»Ja.«
Ich hatte gedacht, dass der Garten des Heims vollständig von der Hecke umschlossen war, aber das stimmte nicht. Ira schlüpfte durch eine Lücke. Ich folgte ihm. Vor uns erhob sich ein bewaldeter Hügel. Ira stapfte den Pfad entlang.
»Darfst du einfach so gehen?«
»Klar. Ich bin freiwillig hier. Ich kann kommen und gehen, wann ich will.«
Er ging weiter.
»Was wollte Gil von dir?«, fragte ich.
»Er wollte wissen, was in der Nacht passiert ist.«
»Hat er das denn nicht gewusst?«
»Ein bisschen wusste er schon. Er wollte noch mehr wissen.«
»Das versteh ich nicht.«
»Brauchst du auch nicht.«
»Doch, Ira. Genau deshalb bin ich hier.«
»Es ist vorbei. Wayne sitzt im Gefängnis.«
»Wayne hat Gil Perez nicht umgebracht.«
»Ich dachte, das hätte er.«
Das begriff ich nicht. Er hinkte jetzt schneller, obwohl er unverkennbar Schmerzen hatte. Ich wollte sagen, dass er stehen bleiben sollte, andererseits erzählte er beim Gehen auch.
»Hat Gil meine Schwester erwähnt?«
Er blieb kurz und lächelte traurig. »Camille.«
»Ja.«
»Die Arme.«
»Hat er was über sie gesagt?«
»Weißt du, dass ich deinen Dad geliebt habe? So ein netter Mann und musste so viele Tiefschläge einstecken.«
»Hat Gil etwas darüber gesagt, was mit meiner Schwester passiert ist?«
»Die arme Camille.«
»Ja. Camille. Hat er was über sie gesagt?«
Ira stapfte weiter den Berg hinauf. »Das war so viel Blut damals in der Nacht.«
»Bitte, Ira, du musst dich konzentrieren. Hat Gil etwas über Camille gesagt?«
»Nein.«
»Was wollte er dann?«
»Das Gleiche wie du.«
»Was ist das?«
Er drehte sich um. »Antworten.«
»Auf welche Fragen?«
»Die gleichen, die du auch stellst. Was in der Nacht passiert ist. Er hat es nicht verstanden, Cope. Es ist vorbei. Sie sind tot. Der Mörder sitzt im Knast. Du musst die Toten ruhen lassen.«
»Gil war nicht tot.«
»Bis zu dem Tag, an dem er mich besucht hat, war er das. Verstehst du?«
»Nein.«
»Es ist vorbei. Die Toten sind tot. Die Lebenden sind in Sicherheit.«
Ich streckte die Hand aus und ergriff seinen Arm. »Ira, was hat Gil Perez dir gesagt?«
»Das verstehst du
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