Grab im Wald
paar Zentimeter vorwärtszubewegen, doch er rührte sich nicht mehr. Cara seufzte, stieg aus dem Jeep und ging zum Auto.
»Sag Tante Greta und deiner Cousine auf Wiedersehen.«
Das erledigte sie dann in einem so verdrossenen Tonfall, dass sie damit den Neid jedes Teenagers erregt hätte.
Als wir zu Hause waren, schaltete Cara sofort und ohne um
Erlaubnis zu fragen den Fernseher an und sah sich eine Folge von SpongeBob an. SpongeBob schien immer zu laufen. Ich hatte mich schon mehrfach gefragt, ob es einen eigenen SpongeBob -Sender gab. Außerdem gab es offenbar nur ungefähr drei verschiedene Folgen dieser Serie. Das störte die Kids allerdings absolut nicht.
Ich wollte Cara zurechtweisen, ließ ihr das dann aber einfach durchgehen. Im Moment war ich froh, dass sie etwas zu tun hatte. Meine Gedanken schwankten immer noch zwischen der Chamique-Johnson-Vergewaltigung und dem plötzlichen Erscheinen und der Ermordung von Gil Perez. Ich musste zugeben, dass mein großer Fall, der größte in meiner bisherigen Karriere, dabei deutlich zu kurz kam.
Ich machte Abendbrot. Meistens gingen wir Essen oder bestellten uns etwas ins Haus. Ich hatte eine Haushälterin, die sich auch um Cara kümmerte, aber sie hatte heute ihren freien Tag. »Wie wär’s mit ein paar Hot Dogs?«
»Mir egal.«
Das Telefon klingelte. Ich ging ran.
»Mr Copeland? Hier spricht Detective Tucker York.«
»Ja, Detective. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir haben die Eltern von Gil Perez ausfindig gemacht.«
Meine Hand umklammerte den Hörer fester. »Haben sie die Leiche identifiziert?«
»Noch nicht.«
»Was haben Sie ihnen gesagt?«
»Hören Sie, das soll jetzt nicht anmaßend klingen, aber so etwas bespricht man nicht am Telefon, oder? ›Ihr toter Sohn könnte die ganze Zeit am Leben gewesen sein – ach ja, und jetzt haben wir seine Leiche gefunden.‹«
»Schon klar.«
»Also haben wir uns ziemlich vage ausgedrückt. Wir haben sie herbestellt und gucken mal, ob sie ihn eindeutig identifizieren.
Aber wir wollten Sie noch etwas fragen: Wie sicher sind Sie, dass es sich um Gil Perez handelt?«
»Ziemlich sicher.«
»Ihnen ist schon klar, dass das nicht ausreicht?«
»Ja, das ist mir klar.«
»Es ist auch schon spät. Mein Partner und ich sind außer Dienst. Also holt einer von unseren Leuten die Perez’ morgen Vormittag ab und fährt mit ihnen zum Leichenschauhaus.«
»Und was ist das hier jetzt? Ein Höflichkeitsanruf?«
»So was in der Art. Ich verstehe, dass Sie sich für den Fall interessieren. Also sollten Sie morgen vielleicht auch vorbeischauen. Falls sich noch weitere Fragen ergeben.«
»Wo?«
»Im selben Leichenschauhaus wie heute Vormittag. Sollen wir Sie abholen lassen?«
»Nicht nötig, ich find schon hin.«
5
Ein paar Stunden später deckte ich meine Tochter zu.
Beim Zubettgehen machte sie nie irgendwelche Probleme. Wir haben ein wunderbares Ritual entwickelt. Ich lese ihr etwas vor. Ich mache das nicht, weil in allen Magazinen für Eltern steht, dass man das tun soll. Ich mache es, weil es ihr gefällt. Sie schläft dabei nie ein. Ich lese ihr jeden Abend vor, und dabei ist sie nicht einmal auch nur leicht weggedämmert. Im Gegensatz zu mir. Manche der Bücher sind unsäglich. Ich schlafe dann neben ihr im Bett ein. Sie lässt mich schlafen.
Mit ihrem unersättlichen Hunger auf Bücher zum Vorlesen konnte ich nicht mithalten, also habe ich mir ein paar Hörbücher besorgt. Jetzt lese ich ihr zuerst etwas vor, dann kann sie sich noch eine Seite der Hörbuch-Kassette anhören – die ist
normalerweise etwa 45 Minuten lang –, bevor sie die Augen zumachen und sich schlafen legen muss. Cara versteht und akzeptiert diese Regel.
Jetzt las ich ihr Roald Dahl vor. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Letztes Jahr war ich mit ihr bei der Aufführung von König der Löwen und habe ihr eine aberwitzig überteuerte Timon -Puppe gekauft. Cara hält sie im rechten Arm. Auch Timon ist ein begeisterter und unersättlicher Zuhörer.
Als ich mit dem Lesen fertig war, gab ich Cara einen Kuss auf die Wange. Sie roch nach Babyshampoo. »Gute Nacht, Daddy«, sagte sie.
»Gute Nacht, mein Schatz.«
Kinder. Gerade haben sie sich noch benommen wie eine übellaunige Medea, schon sind sie wieder allerliebst und die reinsten Engel.
Ich schaltete den Kassettenrekorder an und das Licht aus. Ich ging in mein Arbeitszimmer und stellte meinen Computer an. Ich hatte von zu Hause direkten Zugriff auf die Arbeitsakten. Ich öffnete den
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