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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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übersehen  –, war, dass Raya Singh mehr Kurven hatte, als es anatomisch möglich zu sein schien. Selbst wenn sie stillstand, schien sie sich zu bewegen. Ihre Haare waren leicht verwuschelt, pechschwarz und schrien danach, dass man sie streichelte. Ihre Haut war eher gold als braun, und sie hatte Mandelaugen, in die ein Mann eintauchen und nie wieder herausfinden konnte.
    »Raya Singh?«, sagte ich.
    »Ja.«
    »Mein Name ist Paul Copeland. Ich bin der Bezirksstaatsanwalt von Essex County, New Jersey. Können wir uns einen Moment unterhalten?«
    »Geht es um den Mord?«
    »Ja.«
    »Dann selbstverständlich.«
    Sie sprach geschliffenes Englisch mit dem Hauch eines neuenglischen
Internats-Akzents, der den geografischen Einfluss mit Vornehmheit überdeckte. Ich versuchte, sie nicht anzustarren. Sie merkte das und lächelte kurz. Ich will nicht wie ein Spanner klingen, ich bin nämlich keiner. Weibliche Schönheit berührt mich. Da bin ich wohl auch nicht der Einzige. Sie berührt mich so, wie ein Kunstwerk mich berührt. Sie berührt mich wie ein Bild von Rembrandt oder Michelangelo. Sie berührt mich, wie der Anblick des nächtlichen Paris oder ein Sonnenaufgang am Grand Canyon oder der türkisfarbene Himmel über Arizona mich berührt. Meine Gedanken waren nicht unbotmäßig. Sie waren, rechtfertigte ich mich vor mir selbst, eher künstlerischer Natur.
    Wir gingen raus auf die Straße, weil es da ruhiger war. Sie legte die Arme um den Körper, als ob ihr kalt wäre. Die Bewegung war, wie praktisch jede ihrer Bewegungen, schon fast anzüglich. Wahrscheinlich konnte sie nicht anders. Bei ihrem Anblick musste man unwillkürlich an Mondschein und Himmelbetten denken – womit sich meine eher »künstlerische« Rechtfertigung auch wohl erledigt hatte. Ich wollte ihr schon meine Jacke anbieten, aber es war überhaupt nicht kalt. Na ja, und außerdem trug ich keine Jacke.
    »Kennen Sie einen Mann namens Manolo Santiago?«, fragte ich.
    »Er wurde ermordet«, sagte sie.
    Sie sprach in einem seltsamen Tonfall, als würde sie eine Rolle vortragen.
    »Aber Sie kannten ihn.«
    »Ich hab ihn gekannt, ja.«
    »War er Ihr Liebhaber?«
    »Noch nicht.«
    »Noch nicht?«
    »Unsere Beziehung«, sagte sie, »war rein platonisch.«
    Ich senkte den Blick, sah erst auf den Asphalt, dann auf die
andere Straßenseite. Das war besser. Der Mörder interessierte mich gar nicht so sehr. Ich wollte etwas über Manolo Santiago erfahren.
    »Wissen Sie, wo Mr Santiago gewohnt hat?«
    »Nein, tut mir leid, das weiß ich nicht.«
    »Wie haben Sie sich kennengelernt?«
    »Er hat mich auf der Straße angesprochen.«
    »Einfach so? Er ist einfach auf der Straße zu Ihnen gekommen?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Und dann?«
    »Er hat mich gefragt, ob er mich zu einer Tasse Kaffee einladen kann.«
    »Und Sie haben die Einladung angenommen?«
    »Ja.«
    Ich riskierte einen weiteren Blick auf sie. Toll. Dieses Aquamarin auf der dunklen Haut … mörderisch. »Machen Sie das immer so?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Dass Sie sich von Fremden auf einen Kaffee einladen lassen?«
    Die Frage schien sie zu amüsieren. »Muss ich mich bei Ihnen für mein Verhalten rechtfertigen, Mr Copeland?«
    »Nein.«
    Sie sagte nichts.
    Ich sagte: »Wir müssen mehr über Mr Santiago erfahren.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Manolo Santiago war ein Deckname. Also versuche ich unter anderem herauszubekommen, wie er wirklich hieß.«
    »Was ich aber auch nicht weiß.«
    »Auch wenn ich das Risiko eingehe, meine Grenzen zu überschreiten«, sagte ich, »aber eins verstehe ich nicht.«
    »Was verstehen Sie nicht?«

    »Sie müssen doch dauernd von Männern angesprochen werden«, sagte ich.
    Mit einem schiefen, wissenden Lächeln sagte sie: »Das ist sehr schmeichelhaft von Ihnen, Mr Copeland. Danke sehr.«
    Ich versuchte, beim Thema zu bleiben. »Und warum haben Sie sich von ihm einladen lassen?«
    »Ist das wichtig?«
    »Vielleicht erfahre ich durch Ihre Antwort etwas über ihn.«
    »Ich wüsste nicht, was. Wenn ich Ihnen zum Beispiel sagen würde, dass ich ihn attraktiv fand, hilft Ihnen das dann weiter?«
    »Haben Sie das?«
    »Habe ich was? Ihn attraktiv gefunden?« Wieder ein Lächeln. Eine Locke fiel über ihr rechtes Auge. »Das klingt fast, als ob Sie ein bisschen eifersüchtig wären.«
    »Miss Singh?«
    »Ja?«
    »Ich untersuche einen Mordfall. Könnten wir also aufhören mit den Spielchen?«
    »Glauben Sie, dass wir das hinkriegen?« Sie strich sich die Locke aus der Stirn.

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