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Grabesdunkel

Grabesdunkel

Titel: Grabesdunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Beverfjord
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den Händen. Im Rücken spürte sie den Steinboden durch die dünne Seide. Sie war ein paar Minuten lang bewusstlos gewesen. Sie hatten ihr ein Handtuch stramm um die rechte Hand gewickelt, um die Blutungen zu stoppen. Sie wollten, dass sie bei Bewusstsein war. Sie lag, den Kopf nach rechts gedreht, auf dem Boden. Das Haar klebte ihr am Kopf, und sie spürte noch immer, wie das Blut von dem, was von ihrem Ohr noch übrig war, hinunterrann.
    Die Misshandlungen hatten mehrere Stunden gedauert. In dem Kellerraum war es dunkel. Zu Anfang hatte sie die Geräusche von dem Fest in der oberen Etage gehört. Jetzt war es still und das Lokal geschlossen. Niemand hatte bei der dröhnend lauten Musik ihre Schreie gehört. Und jetzt war sowieso niemand mehr da, der sie hören konnte – es hatte also keinen Sinn, weiter zu schreien. Sie versuchte, etwas zu sagen, doch ihre Stimme versagte.
    Ester hatte eigentlich alles richtig gemacht. Sie war zu Hanna Sneve gefahren. Bei ihr fühlte sie sich sicher. Niemand wusste von ihr. Sie hatten keinen Kontakt mehr gehabt, seit sie Kinder waren und Haus an Haus gewohnt hatten. Später war Hanna mit ihrer Familie aus Asker in die Stadt gezogen, und sie hatten sich aus den Augen verloren.
    Nachdem Ester Helle ermordet im Bett aufgefunden hatte, hatte der Charmeur mehrmals versucht, sie zu erreichen. Sie hatte nicht gewagt, ans Telefon zu gehen. Verzweifelt hatte sie Hanna angerufen, ihr erzählt, dass sie in Gefahr war und ein Versteck brauchte. Hanna hatte ohne Bedenken ihre Tür geöffnet. Sie wohnte in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Skøyen. In der ersten Nacht hatten sie Wein getrunken und sich ihr Leben erzählt. Hanna hatte mit ihren Schulbüchern, aus denen später Lehrbücher für Medizin geworden waren, ruhige Jahre verbracht. So war sie schon als kleines Mädchen gewesen. Bei Hanna war man sicher. Sie war offen und ehrlich. Unkompliziert. Unschuldig.
    Esters Stimmung hatte zwischen Paranoia und Übermut geschwankt. Viel zu spät hatte sie eingesehen, dass der Kontakt zu Agnes ein fataler Fehler gewesen war. Sie bereute, dass sie sich von Nyhetsavisen hatte interviewen lassen. Und noch mehr bereute sie, dass sie den Datenträger in Agnes’ Obhut gegeben hatte. Er wird mich totschlagen, dachte sie im einen Moment. Seine Wut hatte sie schon früher zu spüren bekommen. Im nächsten Augenblick tröstete sie sich mit dem Gegenteil: Er wird mich verstehen, er wird mir vergeben. Und eines Abends hatte der Übermut die Oberhand gewonnen.
    Ester beschloss, ins Hjørnet am Solli plass zu fahren. Sie wollte ihm alles erklären, und er würde ihr glauben. Der Charmeur. Er musste ihr glauben. Sie hatte Agnes nichts von ihm erzählt. Sie hoffte inständig, dass der Charmeur nicht wusste, was sie Agnes gegeben hatte. Denn dann wäre sie erledigt.
    Sie hatte sich geschminkt, das rosa Seidenkleid angezogen, das er so an ihr mochte – das einzige Kleid, das sie hatte mitnehmen können, als sie untergetaucht war. Sie würde abends hingehen, wenn geöffnet war. Das war am sichersten. An einem Abend, an dem es voll war – an einem Samstagabend. Die Schlange vor dem Lokal war lang gewesen. Das Hjørnet hatte es im Lauf eines Jahres geschafft, das gefragteste Lokal der Stadt zu werden. Es war vor allem bei machtgeilen Politikern, Finanzgrößen und erfolgreichen Persönlichkeiten aus der Kulturbranche beliebt. Die Türsteher konnten wählen und aussortieren. Sie erinnerte sich an die Kriterien: Exklusivität, Exklusivität, Exklusivität. Hier kam man nicht rein, nur weil man bekannt war: Reality-Soap-Sternchen und Darsteller aus Vorabendserien wurden an der Tür abgewiesen. Die Türsteher ließen nur die Größten herein. Die Reichsten. Und die Schönsten. Letzteres hatte Ester immer wieder Tür und Tor geöffnet. Und als der Charmeur erst auf sie aufmerksam geworden war, war sie um die Schlange herumgekommen.
    Der Türsteher hatte sie auch dieses Mal erkannt und eingelassen. Das Lokal war zum Bersten voll gewesen. Der Charmeur hatte an seinem Stammplatz gestanden, ganz hinten an der Bar – wo er den besten Überblick hatte. Er hatte überrascht ausgesehen, als er sie entdeckt hatte. Dann aber hatte er gelächelt, sie zu sich gewunken und ihr etwas zu trinken bestellt. Er sagte, dass er sie vermisst habe, dass er nach ihr gesucht habe, überall.

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