Grabesdunkel
Die Betonung lag auf überall. Sie wollte es ihm erklären, schaffte es aber nicht. Es waren zu viele Leute um sie herum. Der Charmeur hatte nach dem Glas gegriffen und es ihr gereicht. Sie hatte gierig den Rest ihres Drinks gekippt.
Irgendwann hatte sie begonnen zu schwitzen. Zuerst glaubte sie, dass die Angst zurückgekommen war. Sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen, und wollte aufstehen, um auf die Toilette zu gehen. Doch als sie Anstalten gemacht hatte, sich zu erheben, waren die Körper um sie herum zu einer riesigen wabernden Masse verschmolzen, die vor Haut, Lippen und Augen glänzte. Sie sah, wie der Charmeur etwas zu ihr sagte, verstand aber nicht, was. Er hat mir etwas in den Drink getan, hatte sie noch gedacht, bevor sie auf dem Boden in sich zusammengesackt war.
Sie hatte sich apathisch und wie umnebelt gefühlt, als er sie zur Tür hinten im Lokal getragen hatte, die zu den Lagerräumen und hinunter in den Keller führte.
Sie schaffte es noch immer nicht aufzustehen. Ihr Blick wanderte über den Kellerboden bis zu den FüÃen des Charmeurs. Er trug immer handgefertigte italienische Schuhe, das hatte er ihr vor langer Zeit einmal erzählt. Er hatte während der ganzen Misshandlungen dort auf dem Stuhl gesessen, ganz ruhig, hatte ihr Fragen gestellt und seinem Helfershelfer die Drecksarbeit überlassen. Stumm hatte der die Befehle des Charmeurs ausgeführt. Sie konnte sich nur bruchstückhaft erinnern.
Ester spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte. Die Schmerzen waren so intensiv. Ein gelber, gellender Schrei hatte ihren Kopf ausgefüllt, als die scharfen Messerklingen in ihre Haut eindrangen. Ihre Gesichtsmuskeln zitterten unkontrolliert. Ester spürte, dass sie bald nicht mehr konnte. Der Charmeur öffnete erneut den Mund. Seine Stimme war dunkel. Zu Anfang, als sie ihn gerade kennengelernt hatte, waren seine Worte wie Gesang gewesen. Jetzt schienen sie einem Horrorfilm entsprungen. Er redete leise, fast flüsternd.
»Ester, wir hören nicht auf, bevor du nicht alles gesagt hast. Verstehst du das?«
Sie nickte. Schluchzte und nickte.
»Wo ist sie? Was hast du damit gemacht?«
»Lässt du mich frei?«
Er sah sie an. Sie meinte für den Bruchteil einer Sekunde etwas Weiches in seinem Blick zu erahnen.
»Kann ich dir vertrauen, Ester?«
Sie nickte panisch.
»Zuerst musst du mir sagen, wo du sie versteckt hast.«
Ester nickte wieder.
Fünf Minuten später wurde sie über den Boden geschleift. Der Helfer hielt sie an den Armen fest. Sie zappelte leicht, wimmerte, versuchte, sich an den Regalen festzuhalten, die an den Wänden des Kellergangs standen, ohne Erfolg. Am Ende des Gangs lag der Kühlraum des Hjørnet.
Sie weinte, er sah sie nicht an. Er öffnete die schwere weiÃe Tür, würdigte sie nicht eines Blicks. Sein Gesicht zeigte keine Gefühle, keine Wut, keine Trauer, keine Freude. Nur eine unfassbar beängstigende Gleichgültigkeit. Sie war für ihn kein Mensch mehr. Sie war nicht einmal ein Tier. Der Helfer warf sie in den Kühlraum. Ester schob verzweifelt den Fuà in die Tür. Er trat ihn fort und schloss von auÃen zu. Schmerzen jagten durch ihren Körper, während sie zitternd auf dem eiskalten Boden lag.
Kapitel 36
Joakim war in einen kleinen, eiskalten Raum eingesperrt. Es war dunkel, und seine Haut fror langsam am Boden fest. Eine rote Lampe leuchtete schwach, wo die Ausgangstür sein musste. Sie war die einzige Lichtquelle in dem Raum und half ihm lediglich, die Konturen der weiÃen Plastikboxen zu unterscheiden, die entlang den Wänden gestapelt waren. Er hörte das Hämmern seines Pulses und seinen vor Kälte stoÃweise gehenden Atem. Zuerst hatte er nur leicht gezittert, dann hatte sein Körper heftig gebebt, als würde er unter Hochdruck arbeiten, um nicht auszukühlen. Er versuchte, sich gegen die Tür zu werfen. Sie war von Raureif bedeckt. Und bewegte sich keinen Millimeter.
Dann kam die Rettung in Form seines Handys. Es rettete ihn aus dem Albtraum. Er erwachte mit einem Ruck, setzte sich im Bett auf, wühlte unter Kissen und Decken auf der Suche nach dem Telefon. SchlieÃlich wurde er unter dem Bett fündig. Es war Ressortleiter Fredrik Telle.
»Kannst du arbeiten?«
»Was gibtâs?«
»Wie es scheint, einen Mord. Die Polizei ist mit Technikern und allem Pipapo angerückt. Die Leiche liegt in Nordmarka
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