Grabesgrün
Schreibtisch: Diagramme und Steno und kleine Skizzen am Rand, akribisch und nicht zu entziffern.
Dann am Dienstag – an einem schwülen, verregneten Morgen, als Cassie und ich wieder mal die Vernehmungsprotokolle der Fahnder bei den Hausbefragungen durchgingen, nur für den Fall, dass wir irgendetwas übersehen hatten – kam er mit einer großen Rolle Papier herein, die dicke Sorte, die Kinder in der Schule zum Basteln verwenden. »So«, sagte er, zog Klebeband aus der Tasche und fing an, den Papierbogen in einer Ecke des SOKO-Raumes an der Wand zu befestigen. »Schaut euch an, was ich die ganze Zeit getrieben habe.«
Es war eine große Karte von Knocknaree, mit vielen Details: Häuser, Hügel, der Fluss, der Wald, der Burgturm, alles mit einem feinen Tuschestift gezeichnet, mit der zarten und fließenden Präzision eines Kinderbuchillustrators. Er musste Stunden dafür gebraucht haben. Cassie stieß einen Pfiff aus.
»Danke, vielen, vielen Dank«, sagte Sam mit tiefer Elvis-Stimme und grinste. Wir ließen beide die Berichte liegen und gingen zu ihm. Ein Teil der Karte war in ungleichmäßig große Bereiche unterteilt, die mit Farbstiften ausgemalt waren – grün, blau, rot, einige in Gelb. Jeder Bereich enthielt winzige, geheimnisvolle Abkürzungen: Verk. J. Downey-GII 11 / 97; FU Agr-Ind 8 / 98. Ich sah Sam fragend an.
»Ich erklär’s gleich.« Er biss wieder ein Stück Klebeband ab und befestigte die letzte Ecke. Cassie und ich setzten uns auf die Kante des Tisches dicht vor der Karte.
»Okay. Seht ihr das hier?« Sam zeigte auf zwei parallele Linien, die im Bogen über die Karte verliefen, durch den Wald und die Ausgrabungsstätte hindurch. »Hier soll die Schnellstraße langgehen. Die Regierung hat die Pläne im März 2000 bekannt gegeben und den Farmern das Land im Laufe des darauffolgenden Jahres abgekauft, unter Berufung auf das staatliche Zwangsenteignungsrecht. Soweit alles in Ordnung.«
»Na ja«, sagte Cassie. »Kommt auf die Sichtweise an.«
»Ruhig«, sagte ich zu ihr. »Guck dir doch einfach das hübsche Bild an.«
»Ach, ihr wisst schon, was ich meine«, sagte Sam. »Alles im normalen Rahmen. Interessant wird es, was das Land entlang der Schnellstraße betrifft. Die ganze Gegend war bis Ende 1995 Agrarland. Dann wurde das Land in den folgenden vier Jahren nach und nach aufgekauft und umgewandelt, von Agrarland in Bauland für Industrie- und Wohngebiete.«
»Von Hellsehern, die bereits fünf Jahre vor der offiziellen Bekanntmachung wussten, wo die Schnellstraße verlaufen würde«, sagte ich.
»Auch das ist eigentlich nicht besonders verdächtig«, sagte Sam. »Seit Anfang 1994 war eine Schnellstraße im Gespräch, die von Südwesten kommend nach Dublin führen sollte – es gibt Zeitungsartikel darüber. Und ich hab mit zwei Landvermessern gesprochen, und die meinten, das sei aus topographischen und besiedlungstechnischen und etlichen anderen Gründen der Schnellstraßenverlauf, der sich anbieten würde. Ich hab nicht viel davon kapiert, aber das haben sie gesagt. Wahrscheinlich haben irgendwelche Baufirmen dasselbe gemacht. Ich meine, die haben von der Schnellstraße Wind bekommen und Landvermesser engagiert, um rauszufinden, wo die Straße wahrscheinlich langführen würde.«
Keiner von uns sagte etwas. Sam blickte von mir zu Cassie und wurde leicht rot. »Ich bin nicht naiv. Okay, vielleicht haben sie von irgendwelchen Beamten einen Tipp bekommen, vielleicht aber auch nicht. Wenn ja, so können wir es jedenfalls nicht beweisen, und es hat auch keine Bewandtnis für unseren Fall.« Ich unterdrückte ein Schmunzeln. Sam ist einer der tüchtigsten Detectives bei uns, aber irgendwie war sein Eifer niedlich.
»Wer hat das Land gekauft?«, fragte Cassie schließlich.
Sam blickte erleichtert. »Eine Handvoll Holdingfirmen, die anderen Firmen gehören, die wiederum anderen Firmen gehören. Deshalb hat es so lange gedauert, bis ich herausgefunden hab, wem denn eigentlich das verflixte Land gehört. Bisher konnte ich drei Unternehmen ausfindig machen: Global Irish Industries, Futura Property Consultants und Dynamo Development. Die blauen Bereiche hier markieren das Land, das Global gehört, die grünen das von Futura und die roten Dynamo. Aber wer hinter den Firmen steckt, weiß ich noch immer nicht. Zwei von ihnen sind in der Tschechischen Republik eingetragen und Futura in Ungarn.«
»Na, das hört sich nun aber richtig windig an«, sagte Cassie.
»Stimmt«, sagte Sam, »aber
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