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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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übergroßen Pullover noch kleiner zu werden.
    »Ich weiß«, sagte ich in einem besänftigenden Tonfall, »ich weiß. Ich verstehe, wie schwer das ist –«
    »Nein, Detective Ryan, das tun Sie nicht.« Rosalinds übergeschlagenes Bein wippte. »Kein Mensch kann verstehen, wie das ist. Ich weiß nicht, wieso wir überhaupt hergekommen sind. Jessica will Ihnen nicht erzählen, was sie gesehen hat, und Sie halten es anscheinend nicht für wichtig. Da können wir ja gleich wieder gehen.«
    Das musste ich verhindern. »Rosalind«, sagte ich beschwörend und beugte mich über den Tisch vor. »Ich nehme das hier sehr ernst. Und ich verstehe es wirklich. Ehrlich.«
    Rosalind lachte bitter auf und tastete unter dem Tisch nach ihrer Tasche. »Oh ja, bestimmt. Leg das Ding weg, Jessica. Wir fahren nach Hause.«
    »Rosalind, ich verstehe euch. Als ich ungefähr in Jessicas Alter war, sind meine zwei besten Freunde verschwunden. Ich weiß, was ihr durchmacht.«
    Ihr Kopf flog hoch, und sie starrte mich an.
    »Ich weiß, eine Schwester zu verlieren ist etwas anderes –«
    »Allerdings.«
    »Aber ich weiß, wie schwer es ist, zurückgelassen zu werden. Ich werde wirklich alles tun, damit ihr Antworten auf eure Fragen bekommt. Okay?«
    Rosalind starrte mich noch einen Moment lang an. Dann ließ sie ihre Tasche fallen und lachte, ein atemloses Lachen der Erleichterung. »Oh – oh, Detective Ryan!« Impulsiv griff sie über den Tisch und nahm meine Hand. »Ich hab doch gewusst , dass es einen Grund gibt, warum Sie genau der Richtige für diesen Fall sind!«
    So hatte ich das noch gar nicht gesehen, und der Gedanke war wohltuend. »Ich hoffe, du hast recht«, sagte ich.
    Ich drückte ihre Hand. Es sollte beruhigend wirken, aber plötzlich merkte sie, was sie getan hatte, und wich verlegen zurück. »Oh, ich wollte nicht –«
    »Weißt du was?«, sagte ich. »Wir beide unterhalten uns ein Weilchen, bis Jessica das Gefühl hat, sie kann mir erzählen, was passiert ist. Wie wär’s?«
    »Jessica? Süße?« Rosalind berührte Jessica am Arm, und sie fuhr zusammen, die Augen weit aufgerissen. »Sollen wir noch ein bisschen hierbleiben?«
    Jessica überlegte, den Blick unverwandt auf Rosalinds Gesicht gerichtet. Rosalind lächelte sie an. Schließlich nickte sie.
    Ich bestellte ein 7-Up für Jessica und Kaffee für Rosalind und mich. Jessica nahm ihr Glas in beide Hände und starrte wie hypnotisiert auf die nach oben schwebenden Perlchen, während Rosalind und ich uns unterhielten.
    Offen gestanden, ich hatte nicht erwartet, ein Gespräch mit einer Achtzehnjährigen unterhaltsam zu finden, doch Rosalind war ein ungewöhnliches Mädchen. Der Anfangsschock von Katys Tod hatte nachgelassen, und ich konnte zum ersten Mal sehen, wie sie wirklich war: aufgeschlossen, lebhaft, intelligent und wortgewandt. Ich fragte mich, wo solche Mädchen gesteckt hatten, als ich selbst in dem Alter war. Sie war naiv, aber sie wusste es auch. Sie machte sich schelmisch über sich selbst lustig, und trotz der Gesamtsituation und meiner schleichenden Sorge, diese Zutraulichkeit könnte sie eines Tages in Schwierigkeiten bringen, musste ich ehrlich lachen.
    »Was willst du machen, wenn du mit der Schule fertig bist?«, fragte ich. Das interessierte mich wirklich. Ich konnte mir dieses Mädchen nicht in irgendeinem öden Bürojob vorstellen.
    Rosalind lächelte, aber ein trauriger Schatten glitt über ihr Gesicht. »Ich würde schrecklich gern Musik studieren. Ich spiel Geige, seit ich neun bin, und ich komponiere auch ein bisschen. Mein Lehrer meint ... na ja, er meint, ich würde bestimmt mit Kusshand genommen. Aber ...« Sie seufzte. »So was ist teuer, und meine – meine Eltern sind eigentlich dagegen. Sie wollen, dass ich Sekretärin werde.«
    Aber sie hatten Katys Wunsch unterstützt, auf die Royal Ballet School zu gehen, und zwar voll und ganz. In der Abteilung Häusliche Gewalt waren mir solche Fälle untergekommen, in denen Eltern das eine Kind zum Liebling und das andere zum Sündenbock machten ( Vielleicht hab ich sie ein bisschen verhätschelt, hatte Jonathan am ersten Tag gesagt), und solche Geschwister wachsen in völlig unterschiedlichen Familien auf.
    »Du wirst schon einen Weg finden«, sagte ich. »Vielleicht bekommst du ein Stipendium. Hört sich ja ganz so an, als wärst du ziemlich gut.«
    Sie senkte bescheiden den Kopf. »Na ja. Letztes Jahr hat das irische Jugendorchester eine Sonate gespielt, die ich geschrieben hab.«
    Ich glaubte ihr

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