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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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investiert. Sie wären nicht begeistert, wenn die Schnellstraße verlegt würde.«
    »Wie groß wäre der Schaden für sie?«
    Er deutete auf zwei gepunktete Linien, die quer über die nordwestliche Ecke der Karte verliefen. »Laut meinen Vermessern ist das die nächste logische Alternativroute. Die auch die Bürgerinitiative gern hätte. Sie verläuft in einer Entfernung von gut zwei Meilen, teilweise vier oder fünf. Das Land nördlich der ursprünglichen Route wäre immer noch gut zu erreichen, aber diese Burschen haben auch noch reichlich Land auf der Südseite, und dessen Wert würde in den Keller gehen. Ich hab mit zwei, drei Grundstücksmaklern gesprochen, mich als Kaufinteressenten ausgegeben. Die meinten alle, Gewerbeflächen direkt an der Schnellstraße wären zweimal so viel wert wie Gewerbeflächen drei Meilen davon entfernt. Ich habe es nicht genau ausgerechnet, aber der Unterschied könnte Millionen ausmachen.«
    »Dafür würden sich ein paar Drohanrufe lohnen«, sagte Cassie nachdenklich.
    »Gewisse Leute«, sagte ich, »würden auch ein paar Riesen extra für einen Auftragskiller springen lassen.«
    Einige Augenblicke lang sagte niemand etwas. Draußen ließ der Nieselregen nach. Ein blasser Sonnenstrahl fiel auf die Karte wie der Suchscheinwerfer eines Hubschraubers und beleuchtete einen Abschnitt des Flusses, der mit zarten Bleistiftstrichen skizziert und mit einem mattroten Schleier schattiert war. Auf der anderen Seite des Raumes versuchte die Kollegin an der Hotline einen redseligen Anrufer abzuwimmeln, der sie kaum zu Wort kommen ließ. Schließlich sagte Cassie: »Aber warum Katy? Wieso nicht Jonathan?«
    »Vielleicht zu offensichtlich«, sagte ich. »Wenn Jonathan ermordet worden wäre, hätten wir uns direkt auf die Leute konzentriert, die er sich durch die Kampagne zum Feind gemacht hat. Der Mord an Katy lässt sich leicht als Sexualdelikt tarnen, um uns von der Schnellstraßengeschichte abzulenken, aber Jonathan kapiert trotzdem, worum es eigentlich geht.«
    »Es sei denn, ich finde doch noch heraus, wer hinter den drei Firmen steckt«, sagte Sam, »da komme ich nämlich einfach nicht weiter. Die Farmer kennen keinen Namen, die Gemeinderäte behaupten das Gleiche. Ich hab ein paar Kaufverträge und Anträge und so eingesehen, aber die waren allesamt von Anwälten unterschrieben – und die Anwälte sagen, sie dürften mir ohne Genehmigung ihrer Mandanten keine Namen nennen.«
    »Was ist mit Journalisten?«, sagte Cassie plötzlich.
    Sam schüttelte den Kopf. »Was soll damit sein?«
    »Du hast gesagt, es gab schon 1994 Zeitungsartikel über die Schnellstraße. Das heißt, da haben Journalisten für die Story recherchiert. Könnte doch sein, dass sie wissen, wer das Land gekauft hat, auch wenn sie keine Namen drucken dürfen. Wir sind hier in Irland, da gibt es keine Geheimnisse.«
    »Cassie«, sagte Sam, und seine Miene erhellte sich, »du bist ein Schatz. Dafür spendier ich dir ein Bier.«
    »Würdest du mir stattdessen auch die Berichte von der Haus-zu-Haus-Befragung abnehmen? O'Gorman baut Sätze wie George Bush. Ich versteh nur Bahnhof.«
    »Hör mal, Sam«, sagte ich, »wenn das hier was wird, dann spendieren wir beide dir noch sehr viele Bierchen.« Sam eilte auf seine Seite des Tisches, klopfte Cassie auf dem Weg dorthin unbeholfen, aber glücklich auf die Schulter und durchforstete sogleich eine Akte mit Zeitungsausschnitten, emsig wie ein Hund, der eine neue Fährte wittert, während Cassie und ich uns wieder unseren Berichten zuwandten.
    Wir ließen die Karte an der Wand hängen, wo sie mich auf einmal aus Gründen nervte, die ich nicht genau bestimmen konnte. Weil sie so perfekt war, glaube ich, voller filigraner Details: zarte gebogene Blättchen im Wald, wulstige kleine Steine in der Burgturmmauer. Cassie malte auf eine von den gelben Stellen einen Baulöwen mit Anzug und Hörnern und kleinen, triefenden Reißzähnen. Sie malt wie eine Achtjährige, aber trotzdem bekam ich jedes Mal einen Schreck, wenn ich aus dem Augenwinkel sah, wie das verflixte Männchen mich böse angrinste.

    Seit einer Weile versuchte ich – eigentlich zum ersten Mal richtig – mich daran zu erinnern, was damals im Wald geschehen war. Ich tastete mich zögerlich an den Rändern entlang, ohne mir selbst recht klarzumachen, was ich da tat, wie ein Kind, das am Schorf einer Wunde knibbelt, aber Angst hat hinzuschauen. Ich machte lange Spaziergänge – meistens morgens in aller Frühe, wenn ich nicht

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