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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Sie haben keinen richtigen Verdächtigen«, sagte er. »Nein, ich weiß, ich weiß, das dürfen Sie mir nicht sagen ... Wenn Sie mit Sandra sprechen, sagen Sie ihr, es tut mir leid. Was wir gemacht haben war schrecklich. Ich weiß, das kommt ein bisschen spät, zwanzig Jahre zu spät, aber ... sagen Sie es ihr trotzdem.«

    Am selben Abend fuhr ich nach Mountjoy, um mit Shane Waters zu sprechen. Ich bin sicher, Cassie wäre gern mitgekommen, wenn ich es ihr gesagt hätte, aber ich wollte diese Sache möglichst allein erledigen. Shane war ein nervöser Typ mit einem Rattengesicht und einem widerlichen kleinen Schnurrbart, und er hatte noch immer Pickel. Er erinnerte mich an den Junkie Wayne. Ich versuchte es mit jeder Taktik, die ich kannte, und versprach ihm alles, was mir einfiel – Straffreiheit, frühere Entlassung aus dem Gefängnis –, baute darauf, dass er nicht clever genug war, um zu wissen, was ich ihm tatsächlich bieten konnte und was nicht, aber ich hatte (schon immer eine meiner Schwachstellen) die Macht der Dummheit unterschätzt: Mit der ärgerlichen Sturheit eines Menschen, der schon lange jeden Versuch aufgegeben hat, Chancen und Möglichkeiten zu analysieren, blieb Shane bei der einzigen Option, die er kannte. »Ich weiß nichts«, wiederholte er auf alle meine Fragen mit einer anämischen Selbstzufriedenheit, die mich auf die Palme brachte. »Und Sie können mir nicht das Gegenteil beweisen.« Sandra, die Vergewaltigung, Peter und Jamie, sogar Jonathan Devlin: »Keine Ahnung, wovon Sie reden, Mann.« Schließlich gab ich’s auf, als ich merkte, dass ich kurz davor war, ihm irgendetwas an den Kopf zu werfen.
    Auf der Fahrt nach Hause schluckte ich meinen Stolz herunter und rief Cassie an, die nicht mal versuchte, so zu tun, als hätte sie keine Ahnung gehabt, wo ich gewesen war. Sie hatte inzwischen Sandra Scullys Alibi überprüft. In der fraglichen Nacht hatte Sandra in einem Callcenter in der Stadt gearbeitet. Ihr Teamleiter und alle anderen von der Spätschicht bestätigten, dass sie die ganze Zeit da gewesen war, bis sie sich pünktlich um zwei Uhr morgens ausgestempelt hatte, um mit dem Nachtbus nach Hause zu fahren. Das war eine gute Nachricht – wir konnten den Punkt abhaken, außerdem hatte mir Sandra als mögliche Mörderin ohnehin nicht gefallen –, aber trotzdem versetzte mir die Vorstellung einen Stich, dass sie in einem stickigen Großraumbüro mit Neonbeleuchtung hockte, umgeben von Teilzeitkräften wie Studenten und Schauspielern, die nur die Zeit bis zum nächsten Engagement überbrückten.
    Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber wir ließen uns einiges einfallen, das meiste davon mehr oder weniger legal, um den denkbar schlimmsten Zeitpunkt für unser Gespräch mit Cathal Mills herauszufinden. Er bekleidete eine hohe Position mit einem hochgestochenen Titel in einer Firma, die E-Learning-Software vertrieb, und wir rückten ihm auf die Pelle, als er mitten in einer wichtigen Besprechung mit einem möglichen Großkunden war. Sogar das Gebäude war unheimlich: lange, fensterlose Korridore und Treppen, wo man rasch die Orientierung verlor, lauwarme Luft aus der Konserve mit zu wenig Sauerstoff, endlose Trakte mit Arbeitsplätzen in Großraumbüros, wie die Rattenlabyrinthe eines verrückten Wissenschaftlers. Cassie warf mir mit großen Augen einen entsetzten Blick zu, als wir einem Bürohengst durch die fünfte, magnetstreifengesteuerte Schwingtür folgten.
    Cathal war im Sitzungssaal, und er war leicht zu erkennen: Er war mit einer PowerPoint-Präsentation zugange. Er sah noch immer gut aus – groß und breitschultrig, mit strahlendblauen Augen und einem harten, gefährlichen Knochenbau –, aber der Fettansatz an den Hüften und im Gesicht war nicht zu übersehen. In einigen Jahren würde er ganz schön aus der Form gegangen sein. Der neue Kunde bestand aus vier identischen, humorlosen Amerikanern in nichtssagenden dunklen Anzügen.
    »Tut mir leid«, sagte Cathal mit einem lockeren und zugleich warnenden Lächeln, »der Raum ist besetzt.«
    »Das sehen wir«, erwiderte Cassie. Sie hatte sich für den Anlass entsprechend gekleidet, mit zerrissener Jeans und einem alten türkisfarbenen Trägerhemd mit der Aufschrift »Yuppies Taste Like Chicken« in roten Lettern quer über der Brust. »Ich bin Detective Maddox –«
    »Und ich bin Detective Ryan«, sagte ich und zückte meinen Ausweis. »Wir hätten ein paar Fragen an Sie.«
    Das Lächeln blieb, aber etwas Zorniges blitzte in

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