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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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kurzfristig eine Freundin, und die war dann mit Cathal zusammen, für sie kein Problem – ich glaube, sie hatte sich sowieso nur auf mich eingelassen, weil er schon vergeben war. Er sah viel besser aus als ich.«
    »Shane«, sagte ich, »war da wohl ein bisschen außen vor.«
    »Ja. Plötzlich wurde es schwierig. Shane kam dahinter und ist ausgeflippt. Er war auch immer scharf auf Sandra gewesen, glaub ich. Aber außerdem fühlte er sich von uns hintergangen. Er war am Boden zerstört. Wir hatten deswegen mächtig Krach, praktisch jeden Tag, und das über Wochen. Die Hälfte der Zeit wollte er nicht mal mit uns reden. Mich hat das fertiggemacht, ich hatte das Gefühl, alles bricht auseinander. Wissen Sie, in dem Alter bedeutet jede Kleinigkeit gleich den Weltuntergang ...«
    Er hielt inne. »Was ist dann passiert?«, fragte ich.
    »Dann kam Cathal auf die glorreiche Idee, da Sandra uns auseinandergebracht hatte, sollte sie uns auch wieder zusammenbringen. Er war wie besessen davon, hat über nichts anderes mehr geredet. Wenn wir alle mit demselben Mädchen geschlafen hätten, sagte er, würde das unsere Freundschaft endgültig besiegeln, wie das Blutsbrüderschaftsritual, nur noch stärker. Ich weiß nicht mehr, ob er das wirklich geglaubt hat oder bloß ... keine Ahnung. Er hatte eine seltsame Ader, Cathal, vor allem, wenn es um ... Na ja. Ich hatte meine Zweifel, aber er ließ einfach nicht locker, und Shane hat ihn natürlich voll und ganz unterstützt.«
    »Und keiner ist auf die Idee gekommen, Sandra nach ihrer Meinung zu fragen?«
    Jonathan ließ den Kopf mit einem leisen dumpfen Geräusch nach hinten gegen die Fensterscheibe fallen. »Das hätten wir machen müssen«, sagte er leise, nach einem Moment. »Natürlich hätten wir das machen müssen. Aber wir lebten in unserer eigenen Welt, wir drei. Ansonsten war für uns kein Mensch real. Ich war verrückt nach Sandra, aber genauso gut war ich verrückt nach Prinzessin Leia oder wen wir sonst alles in der Woche toll fanden, jedenfalls nicht, wie man eine reale Frau liebt. Das soll keine Entschuldigung sein. Es gibt keine Entschuldigung für das, was wir getan haben, nicht die geringste. Nur einen Grund.«
    »Was ist passiert?«
    Er rieb sich mit einer Hand übers Gesicht. »Wir waren im Wald«, sagte er. »Wir vier. Ich war nicht mehr mit Claire zusammen. Auf der Lichtung, wo wir manchmal herumhingen. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber in dem Jahr hatten wir einen herrlichen Sommer, bis halb zehn abends hell. Wir waren jeden Tag draußen, im Wald oder am Waldrand. Wir waren alle braun gebrannt, ich sah aus wie ein italienischer Student, bis auf die irren weißen Stellen um die Augen von der Sonnenbrille ... Es war später Nachmittag. Wir hatten den ganzen Tag auf der Lichtung rumgehangen, getrunken und ein paar Joints geraucht. Ich glaub, wir waren ziemlich neben der Spur, nicht nur vom Alkohol und Gras, auch von der Sonne, und wir waren in so einer ausgeflippten Stimmung, in die man in dem Alter schnell gerät. Ich hatte mit Shane Armdrücken gemacht – er hatte ausnahmsweise mal halbwegs erträgliche Laune – und ich hatte ihn gewinnen lassen, und wir alberten rum, stießen uns gegenseitig an und rangelten im Gras, wie das Jungs so machen. Cathal und Sandra feuerten uns lautstark an, und dann fing Cathal an, Sandra zu kitzeln – sie hat wie verrückt gelacht und gekreischt. Sie rollten uns vor die Füße, und dann sind wir auf die beiden draufgesprungen. Und auf einmal hat Cathal geschrien: ›Jetzt!‹ ...«
    Ich wartete lange. »Habt ihr alle drei sie vergewaltigt?«, fragte ich schließlich leise.
    »Nur Shane. Was es nicht besser macht. Ich hab geholfen, sie festzuhalten ...« Er sog rasch die Luft durch die Zähne ein. »So was hatte ich noch nie erlebt. Ich glaube, wir haben vorübergehend den Verstand verloren. Es kam mir irgendwie nicht real vor, verstehen Sie? Es war wie ein Albtraum oder ein schlechter Trip. Es nahm kein Ende. Es war glühend heiß, ich hab geschwitzt wie ein Schwein, mir war schwindelig. Ich hab die Bäume ringsum angesehen, und die rückten immer näher, ich hatte das Gefühl, sie würden uns umzingeln und verschlingen, und alle Farben sahen falsch aus, wie in einem von diesen kolorierten alten Filmen. Der Himmel war fast weiß geworden, und irgendwelche Dinge sausten quer darüber, kleine schwarze Dinge. Ich hab die anderen angesehen, hatte das Gefühl, ich müsste sie warnen, dass irgendwas los war, irgendwas nicht

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