Grabesgrün
Sie was, Cathal«, sagte Cassie mitfühlend auf dem Weg nach draußen, »die Medizin kann bei solchen Problemen inzwischen einiges bewirken.« Ich packte ihren Arm und schob sie durch die Tür.
Auf dem Korridor stauchte ich sie zusammen, gerade laut genug, dass es im Besprechungsraum zu hören sein musste: Sie spinnen wohl, zeigen Sie etwas Respekt, er ist nicht mal ein Verdächtiger, blablabla. (Dass er kein Verdächtiger war, stimmte sogar: Wir hatten inzwischen zu unserer Enttäuschung erfahren, dass Cathal die ersten drei Wochen im August geschäftlich in den USA gewesen war, wie seine beachtlichen Kreditkartenrechnungen bewiesen.) Cassie grinste mich an und gab mir ein Ok-Zeichen.
»Sie müssen entschuldigen, Mr Mills«, sagte ich, als ich allein zurück in den Sitzungssaal ging.
»Ich beneide Sie nicht um Ihren Job, Mann«, sagte Cathal. Er war wütend, hatte rote Flecken auf den Wangen, und ich fragte mich, ob Cassie vielleicht ins Schwarze getroffen hatte, ob Sandra ihr irgendeine Kleinigkeit anvertraut hatte, die sie mir vorenthalten hatte.
»Da sagen Sie was«, erwiderte ich, nahm ihm gegenüber Platz und fuhr mir müde mit der Hand übers Gesicht. »Sie ist eine Quotenfrau. Das mit der Beschwerde können Sie sich sparen. Die Vorgesetzten haben sogar Angst, ihr eine Abmahnung zu erteilen, weil sie sonst schnurstracks zur Gleichstellungsbeauftragten rennt. Aber die Jungs und ich zeigen ihr noch, wo’s langgeht. Dauert nur ein bisschen.«
»Sie wissen doch wohl, was das Miststück braucht, nicht?«, sagte Cathal.
»He, wir wissen alle, was sie braucht«, sagte ich, »aber dazu müsste man ihr nahe kommen, würden Sie das wollen?«
Kurzes gemeinsames Männerlachen. »Hören Sie«, sagte ich, »ich sollte Ihnen gleich sagen, dass die Aussichten, irgendwen für diese mutmaßliche Vergewaltigung zur Verantwortung zu ziehen, gleich null sind. Selbst wenn an der Geschichte was dran ist, die Verjährungsfrist ist vor Jahren abgelaufen. Ich ermittle hier in einem Mordfall. Diese andere Sache interessiert mich nicht die Bohne.«
Cathal fischte ein Päckchen Zahnweißkaugummi aus der Tasche, steckte sich ein Stück in den Mund und hielt mir die Packung hin. Ich hasse Kaugummi, aber ich nahm trotzdem ein Stück. Er beruhigte sich allmählich, die Röte wich aus seinem Gesicht. »Geht es um die kleine Devlin?«
»Ja«, sagte ich. »Sie kennen ihren Vater, richtig? Haben Sie Katy mal kennengelernt?«
»Nein. Ich kannte Jonathan schon, als wir Kinder waren, aber wir haben keinen Kontakt mehr. Seine Frau ist ein Albtraum. Ein Gespräch mit der Tapete ist unterhaltsamer.«
»Ich hab sie kennengelernt«, sagte ich mit einem gequälten Grinsen.
»Also, was hat das mit dieser Vergewaltigung auf sich?«, fragte Cathal. Er kaute lässig, aber seine Augen waren auf der Hut, wie bei einem Tier.
»Im Grunde«, sagte ich, »überprüfen wir alles, was uns im Leben der Devlins komisch vorkommt. Und wir haben läuten hören, Sie und Jonathan Devlin und Shane Waters hätten im Sommer’84 irgendwas mit einem Mädchen angestellt. Was ist da wirklich passiert?« Ich hätte gern noch ein paar Minuten in die männliche Verbrüderung investiert, aber dazu war keine Zeit mehr. Sobald sein Anwalt eintraf, wäre meine Chance vorbei.
»Shane Waters«, sagte Cathal. »Den Namen hab ich echt schon ein Weilchen nicht mehr gehört.«
»Sie müssen nichts sagen, solange Ihr Anwalt nicht da ist«, sagte ich, »aber Sie stehen in dem Mordfall nicht unter Verdacht. Ich weiß, Sie waren in der fraglichen Woche nicht im Lande. Ich möchte nur möglichst viel über die Devlins erfahren.«
»Sie glauben, Jonathan hat sein eigenes Kind umgebracht?« Cathal blickte amüsiert.
»Was meinen Sie denn?«, sagte ich. »Sie kennen ihn besser als ich.«
Cathal legte den Kopf in den Nacken und lachte. Die Anspannung wich aus seinen Schultern, er wirkte plötzlich zwanzig Jahre jünger, und zum ersten Mal kam er mir vertraut vor: der harte, attraktive Schwung seiner Lippen, das durchtriebene Glitzern in den Augen. »Hören Sie, Mann«, sagte er, »ich verrat Ihnen mal was über Devlin. Der Bursche ist ein Weichei. Er macht wahrscheinlich noch immer einen auf harten Mann, aber lassen Sie sich nicht täuschen: Der ist sein Lebtag noch kein Risiko eingegangen, wenn ich ihm nicht gut zugeredet hab. Deshalb ist er heute da, wo er eben ist, und ich bin« – er deutete mit dem Kinn auf den Sitzungssaal – »ich bin hier.«
»Dann war diese
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