Grabesgrün
gesamte Ausgrabungsgelände mit Bulldozern plattwalzen und eine beschissene Schnellstraße drüberbauen. Die Herrschaften waren so gnädig, für den Wehrturm eine Verkehrsinsel zu genehmigen, damit sie sich einen drauf runterholen können, wie viel sie doch für die Bewahrung unseres kulturellen Erbes tun.«
Jetzt fiel mir das mit der Schnellstraße wieder ein. In den Nachrichten hatte sich irgendein nichtssagender Politiker schockiert darüber ausgelassen, dass die Archäologen eine Überarbeitung der Schnellstraßenpläne verlangten, was Millionen an Steuergeldern verschleudern würde. Wahrscheinlich hatte ich an diesem Punkt umgeschaltet. »Wir werden alles tun, um Sie nicht zu lange aufzuhalten«, sagte ich. »Der Hund da am Cottage, bellt der, wenn Leute zur Ausgrabung kommen?«
Mark zuckte die Achseln und zog an seiner Zigarette. »Bei uns bellt er nicht, aber uns kennt er ja auch. Wir füttern ihn mit Essensresten und so. Vielleicht, wenn einer dem Cottage zu nahe kommt, besonders nachts, aber wahrscheinlich nicht, wenn einer oben an der Mauer ist. Außerhalb seines Reviers.«
»Und Autos – bellt er, wenn eins kommt?«
»Hat er bei Ihrem gebellt? Er ist ein Hütehund, kein Wachhund.« Er ließ ein dünnes Rauchband zwischen den Zähnen hervorgleiten.
Der Täter hätte also von allen Seiten kommen können: über die Straße, aus der Siedlung, sogar den Fluss entlang, wenn er es sich hätte schwierig machen wollen. »Das wäre vorläufig alles«, sagte ich. »Danke für Ihre Zeit. Wenn Sie mit den anderen warten würden, wir kommen dann gleich und informieren Sie.«
»Treten Sie nicht auf irgendwas, das nach Archäologie aussieht«, sagte Mark und trottete zurück zu den Containern. Ich ging den Hang hinauf zu der Leiche.
Der Opferstein aus der Bronzezeit war ein flacher, wuchtiger, aus einem Felsklotz gehauener Block, etwa zwei Meter lang, einen Meter breit und ebenso hoch. Das Areal drum herum war wegplaniert worden – offenbar vor nicht allzu langer Zeit, denn der Boden unter meinen Schuhen war noch weich –, aber der Bereich unmittelbar um den Stein war unberührt geblieben, sodass er sich wie eine Insel aus der aufgebrochenen Erde erhob. Obendrauf sah ich zwischen Nesseln und hohem Gras etwas Blauweißes durchscheinen.
Es war nicht Jamie. Im Grunde war mir das schon klar gewesen – wenn auch nur die Möglichkeit bestanden hätte, dass sie es war, hätte Cassie mich vorgewarnt –, aber trotzdem war mein Kopf schlagartig wie leergefegt. Dieses Mädchen hatte langes dunkles Haar, ein Zopf lag quer über dem Gesicht. Das war alles, was mir zunächst auffiel, das dunkle Haar. Mir kam nicht mal der Gedanke, dass Jamies Körper nicht in diesem Zustand gewesen wäre.
Ich hatte Cooper verpasst. Er ging gerade vorsichtig zurück Richtung Straße und schüttelte nach jedem Schritt den Fuß aus wie eine Katze. Ein Techniker machte Fotos, ein anderer war dabei, Fingerabdrücke von der Steinplatte zu nehmen. Ein paar Uniformierte von der hiesigen Polizei traten von einem Bein aufs andere und plauderten mit den Jungs von der Gerichtsmedizin, die neben einer Trage standen. Das Gras war übersät mit dreieckigen nummerierten Markierungen. Cassie und Sophie Miller hockten neben dem Steintisch und betrachteten etwas an der Kante. Ich erkannte Sophie auf Anhieb. Diese brettgerade Haltung ist auch in einem anonymen Overall unverkennbar. Sophie ist meine Favoritin bei der Technik. Sie ist schlank und dunkel und zurückhaltend, und bei ihr wirkt die weiße Duschhaube, als sollte sich die Trägerin über die Betten von verwundeten Soldaten beugen, während im Hintergrund Kanonen dröhnen, ihnen tröstliche Worte zuraunen und Wasser aus einer Feldflasche zwischen die Lippen träufeln. In Wahrheit ist Sophie schnell und ungeduldig und kann mit wenigen, scharfen Worten jeden mundtot machen, vom Superintendent bis hin zum Staatsanwalt. Ich mag Widersprüche.
»Wo entlang?«, rief ich an der Absperrung. Man betritt keinen Tatort ohne Erlaubnis der Spurensicherung.
»Hi, Rob«, antwortete Sophie, stand auf und zog ihre Gesichtsmaske herunter. »Warte da.«
Cassie war als Erste bei mir. »Erst seit etwa einem Tag tot«, sagte sie leise, ehe Sophie dazukam. Sie sah ein bisschen blass um den Mund aus. Bei Kindern geht das fast allen so.
»Danke, Cass«, sagte ich. »Hi, Sophie.«
»Hallo Rob. Ihr beide müsst mir noch einen ausgeben.« Vor ein paar Monaten hatten wir versprochen, ihr Cocktails zu spendieren, wenn sie
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