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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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überraschend, wie etwas, das ich schon lange wusste –, dass ich nämlich, wenn es mir gelang, mich an irgendetwas Verwertbares zu erinnern, damit zu O'Kelly gehen müsste. Nicht sofort, vielleicht erst in ein paar Wochen. Ich würde ein bisschen Zeit brauchen, um ein paar Dinge zu erledigen, sozusagen meine Angelegenheiten zu regeln, denn wenn ich zu ihm ging, war das das Ende meiner Karriere.
    Noch am Nachmittag wäre der Gedanke wie ein Faustschlag in die Magengrube gewesen. Aber an dem Abend war er fast verführerisch, schimmerte unwiderstehlich in der Luft, und ich wendete ihn mit einem genüsslichem Gefühl von Leichtsinn hin und her. Detective im Morddezernat, der Traumberuf, an dem mein ganzes Herz hing, an dem ich meine Garderobe, meinen Gang, mein Vokabular ausgerichtet hatte, der mein Leben ausmachte: Der Gedanke, das alles lässig wegzuwerfen und zuzusehen, wie es als leuchtender Ballon luftige Höhen erklomm, war berauschend. Ich könnte als Privatdetektiv meine Brötchen verdienen, dachte ich, mit einem schmuddeligen kleinen Büro in einem heruntergekommenen alten Stadthaus, mein Name in Gold an der Milchglastür, nach Lust und Laune arbeiten, mich gekonnt am Rande des Gesetzes bewegen und einem wutschnaubenden O'Kelly Insiderinformationen abluchsen. Ich fragte mich verträumt, ob Cassie mitmachen würde. Ich würde mir einen Filzhut und einen Trenchcoat und einen flapsigen Humor zulegen. Cassie könnte mit einem hautengen roten Kleid an Hotelbars sitzen, Kamera im Lippenstift, und seitenspringende Geschäftsleute ausspionieren ... ich hätte beinahe laut gelacht.
    Ich merkte, dass mir die Augen zufielen. Das hatte ich nun weiß Gott nicht geplant, und ich versuchte krampfhaft, wach zu bleiben, doch die vielen schlaflosen Nächte rächten sich alle auf einmal. Ich dachte an die Thermosflasche Kaffee, aber es kostete mich unendliche Mühe, danach zu greifen. Der Schlafsack war inzwischen körperwarm, und ich hatte es mir auf der unebenen Erde einigermaßen bequem gemacht. Mir war einschläfernd wohlig zumute. Ich spürte noch, wie mir der Thermosbecher aus der Hand glitt, konnte aber die Augen nicht mehr öffnen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich schlief. Ich setzte mich auf und unterdrückte einen Schrei, noch ehe ich vollständig wach war. Jemand hatte klar und eindringlich direkt an meinem Ohr »Was war das?« gesagt.
    Ich saß lange Zeit da, spürte, wie mir langsame Wellen Blut durch den Hals strömten. Die Lichter in der Siedlung waren ausgegangen. Der Wald war still, kaum ein Windhauch in den Ästen über mir; irgendwo knackte ein Zweig.
    Peter, der auf der Burgmauer herumwirbelte, eine Hand erhoben, Jamie und ich, rechts und links von ihm, wie erstarrt: »Was war das?«
    Wir waren den ganzen Tag draußen gewesen, seit der Tau noch auf dem Gras trocknete. Es war glühend heiß; jeder Atemzug warm wie Badewasser, und der Himmel hatte eine Farbe wie das Innere einer Kerzenflamme. Wir hatten Flaschen mit roter Limonade unter einen Baum ins Gras gelegt, für den Fall, dass wir Durst bekamen, aber sie waren warm und schal geworden, und die Ameisen hatten sie entdeckt. Irgendwo die Straße hinunter mähte jemand den Rasen; irgendwo anders stand ein Fenster auf, und jemand drehte das Radio lauter und sang den Song »Wake Me Up Before You Go-Go« aus vollem Halse mit. Zwei kleine Mädchen wechselten sich mit einem rosa Dreirad auf dem Gehweg ab, und Peters zimperliche Schwester Tara spielte bei ihrer Freundin Audrey im Garten Schule. Die beiden plapperten munter auf eine Schar aufgereihter Puppen ein. Die Carmichaels hatten einen Rasensprenger gekauft. Wir hatten vorher noch nie einen gesehen und guckten immer interessiert zu, wenn er lief, aber Peter sagte, Mrs Carmichael wäre eine Hexe und würde jedem, der in ihren Garten ging, mit einem Schürhaken den Schädel einschlagen.
    Wir waren fast den ganzen Tag mit unseren Rädern herumgefahren. Peter hatte zum Geburtstag ein BMX-Rad bekommen, und da er mal Stuntman werden wollte, übten wir Fahrradspringen. Wir bauten eine Rampe auf der Straße, aus Backsteinen und einem Brett, das Peters Vater im Gartenschuppen hatte – »Die machen wir dann immer höher«, sagte Peter, »einen Backstein mehr pro Tag« –, aber sie wackelte wie verrückt, und ich bremste jedes Mal in letzter Sekunde ab.
    Jamie probierte die Rampe ein paarmal aus und lungerte dann am Straßenrand herum, kratzte einen Aufkleber von ihrer Lenkstange und trat gegen die Pedale, damit sie

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