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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Leben.«
    Niemand kannte sich im Wald so gut aus wie wir. Wir würden durchs Unterholz schleichen, geschmeidig und lautlos wie Indianer, reglos aus dem Dickicht und von Baumkronen aus beobachten, wie die Suchtrupps vorbeistapften ...
    »Wir wechseln uns mit Schlafen ab.« Jamie hatte sich aufgesetzt. »Immer einer hält Wache.«
    »Aber unsere Eltern«, sagte ich. Ich dachte an die warmen Hände meiner Mutter und stellte mir vor, wie sie weinte, völlig verzweifelt. »Die machen sich doch total Sorgen. Die denken bestimmt –«
    Jamies Mund verhärtete sich. »Meine Mum sicher nicht. Die will mich sowieso nicht bei sich haben.«
    »Meine Mum denkt meistens nur an meine kleinen Geschwister«, sagte Peter, »und meinem Dad ist es mit Sicherheit egal.« Jamie und ich blickten uns an. Wir sprachen nie darüber, aber wir wussten beide, dass Peters Dad die Kinder manchmal schlug, wenn er betrunken war. »Und überhaupt, sollen deine Eltern sich ruhig Sorgen machen. Die haben dir nicht gesagt, dass Jamie aufs Internat muss, oder? Damit du glaubst, alles wär prima!«
    Er hatte recht, dachte ich benommen. »Ich könnte ja wenigstens einen Zettel schreiben«, sagte ich. »Bloß damit sie wissen, dass es uns gut geht.«
    Jamie wollte etwas sagen, aber Peter fiel ihr ins Wort. »Ja, super Idee! Schreib, wir wären nach Dublin oder Cork oder Gott weiß wo. Dann suchen sie dort, und wir sind die ganze Zeit hier.«
    Er sprang auf, zog uns mit hoch. »Seid ihr dabei?«
    »Ich geh auf keinen Fall aufs Internat«, sagte Jamie und wischte sich mit dem Arm übers Gesicht. »Niemals, Adam. Niemals. Ich mach alles mit.«
    »Adam?« In der freien Natur leben, braungebrannt und barfuß, zwischen den Bäumen. Die Burgmauer fühlte sich kalt und klamm unter meinen Händen an. »Adam, was sollen wir denn sonst machen? Willst du, dass sie Jamie wegschicken? Willst du denn nichts dagegen machen?«
    Er schüttelte mein Handgelenk. Sein Griff war fest, drängend, und ich spürte meinen Puls in seiner Hand schlagen. »Ich bin dabei«, sagte ich.
    »Ja!«, brüllte Peter und reckte die Faust in die Luft. Der Schrei hallte hinauf in die Bäume, hoch und wild und triumphierend.
    »Wann?«, fragte Jamie. Ihre Augen leuchteten vor Erleichterung, und ihr Mund war zu einem Lächeln geöffnet. Sie tänzelte, bereit loszusausen, wenn Peter es sagte. »Jetzt gleich?«
    »Nicht so hastig«, erwiderte Peter grinsend. »Wir müssen noch einiges vorbereiten. Wir gehen nach Hause und kramen unser ganzes Geld zusammen. Wir brauchen Vorräte, aber wir kaufen jeden Tag immer nur ein bisschen, damit keiner Verdacht schöpft.«
    »Würstchen und Kartoffeln«, sagte ich. »Wir können ein Feuer machen und besorgen uns Stöcke –«
    »Nein, kein Feuer, das würden sie sehen. Nichts, was gekocht werden muss. Besorgt irgendwas in Dosen, was man auch kalt essen kann, Ravioli und Baked Beans und so.«
    »Einer muss einen Dosenöffner mitbringen.«
    »Ich; meine Mum hat noch einen, da merkt sie gar nicht, wenn einer fehlt.«
    »Schlafsäcke, und unsere Taschenlampen –«
    »Klaro, aber erst in letzter Minute, damit keiner merkt, dass sie weg sind.«
    »Unsere Klamotten können wir im Fluss waschen –«
    »– und unseren Müll verstecken wir in einem hohlen Baum, damit keiner ihn findet –«
    »Wie viel Geld habt ihr?«
    »Das Geld, das ich zur Firmung gekriegt hab, ist auf dem Sparbuch, da komm ich nicht dran.«
    »Dann kaufen wir eben billigen Kram, Milch und Brot –«
    »Nee, Milch wird schlecht!«
    »Nein, gar nicht, wir können sie in einer Plastiktüte im Fluss aufbewahren –«
    »Jamie trinkt klumpige Milch!«, rief Peter. Er sprang an der Mauer hoch und kletterte nach oben.
    Jamie sprang hinterher. »Stimmt ja gar nicht, du trinkst klumpige Milch, du –« Sie packte Peters Knöchel, und sie balgten oben auf der Mauer, ausgelassen kichernd. Als ich oben ankam, zog Peter mich in die Rangelei hinein. Wir kämpften, atemlos vor Lachen, balancierten gefährlich nah am Rand. »Adam isst Käfer –« »Arschloch, da waren wir noch ganz klein –«
    »Ruhig!«, zischte Peter plötzlich. Er schüttelte uns ab und erstarrte, geduckt auf der Mauer, die Hände erhoben, damit wir still waren. »Was war das?«
    Reglos und die Ohren gespitzt wie verschreckte Hasen horchten wir. Der Wald war still, zu still, wartete; der normale Nachmittagslärm, den Vögel und Insekten und unsichtbare kleine Tiere veranstalteten, war verstummt, wie durch den Stab eines Dirigenten. Nur

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