Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
legten uns auf das Dach, die Hände hinterm Kopf verschränkt, Ellbogen an Ellbogen. Mir war noch immer ein bisschen schwindelig, nicht unangenehm, vom Tanzen und vom Wein. Der Wind strich mir warm übers Gesicht, und sogar durch das Licht der Stadt hindurch konnte ich Sternbilder sehen: den Großen Wagen, den Oriongürtel. Die Kiefer am Ende des Gartens rauschte wie das Meer. Einen Moment lang war mir, als hätte sich das Universum auf den Kopf gestellt, als würden wir sanft in eine riesige Schüssel voller Sterne und Nocturnes fallen, und ich wusste ohne den Hauch eines Zweifels, dass alles gut werden würde.

16
    ICH SPARTE MIR DEN WALD für Samstagabend auf, behielt den Gedanken für mich wie ein Kind, das sich ein großes Osterei mit einer geheimnisvollen Überraschung darin noch länger verwahrt. Sam war übers Wochenende in Galway auf der Taufe irgendeiner Nichte – er hatte die Art von Großfamilie, in der sich fast jede Woche ein Anlass zum Feiern ergibt, irgendwer wurde immer getauft oder getraut oder beerdigt –, Cassie traf sich mit zwei Freundinnen, und Heather nahm an einem Speed-Dating in irgendeinem Hotel teil. Niemand würde auch nur merken, dass ich nicht da war.
    Ich traf gegen sieben in Knocknaree ein und fuhr auf den Parkplatz gegenüber der Ausgrabung. Ich hatte einen Schlafsack und eine Taschenlampe dabei, eine Thermosflasche Kaffee mit einem kräftigen Schuss Whiskey drin, und zwei Sandwiches – beim Packen war ich mir etwas albern vorgekommen, wie einer von diesen fanatischen Wanderern in Hightech-Fleece-Klamotten oder ein Junge, der von zu Hause ausreißen will –, aber nichts, um ein Feuer zu machen: Die Leute in der Siedlung waren noch immer nervös und würden auf der Stelle die Polizei verständigen, wenn sie ein rätselhaftes Licht sähen. Außerdem bin ich kein Pfadfindertyp. Ich hätte den mickrigen Rest vom Wald vermutlich abgefackelt.
    Es war ein stiller, klarer Abend, tiefe Lichtstrahlen ließen den steinernen Turm rosig golden aussehen und verliehen selbst den Gräben und Erdhaufen eine traurige, verwitterte Magie. Ein Lamm blökte irgendwo in der Ferne auf den Weiden, und die Luft roch kräftig und friedlich: Heu, Kühe, irgendeine duftende Blume, die ich nicht hätte benennen können. Draußen vor dem Cottage setzte sich der Hütehund auf und bellte halbherzig zur Warnung. Er starrte mich lange an, befand dann, dass ich keine Bedrohung darstellte, und legte sich wieder hin. Ich folgte den holprigen Pfaden, die die Archäologen durch das Ausgrabungsgelände gezogen hatten und die gerade breit genug für eine Schubkarre waren. Diesmal trug ich alte Turnschuhe, eine abgerissene Jeans und einen dicken Pullover.
    Wer wie ich im Grunde ein Stadtmensch ist, der wird sich einen Wald wohl eher recht übersichtlich vorstellen: einheitliche Bäume in gleichmäßigen Reihen, ein weicher Teppich aus Laub und Kiefernnadeln, alles schön ordentlich, wie von einem Kind gemalt. Mag sein, dass die von Menschenhand gemachten, effizient angelegten Wälder auch tatsächlich so sind, keine Ahnung. Der Wald von Knocknaree jedenfalls war Natur pur, verschlungener und geheimnisvoller, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er besaß eine ganz eigene Ordnung. Ich war hier ein Eindringling, und irgendwie beschlich mich das kribbelige Gefühl, dass ich augenblicklich bemerkt worden war, dass der Wald mich beobachtete und abwartete, ob er mich akzeptieren oder ablehnen sollte.
    In der Feuerstelle auf Marks Lichtung war frische Asche, und auf der Erde drum herum lagen ein paar neue Stummel von selbstgedrehten Zigaretten. Er war nochmal hier gewesen, seit Katys Tod. Ich hoffte inständig, dass er nicht ausgerechnet heute Abend wieder aufkreuzte. Ich nahm die Sandwiches, die Thermosflasche und die Taschenlampe aus den Taschen, breitete den Schlafsack auf dem plattgedrückten Gras aus, wo Mark auch seinen ausgerollt hatte. Dann ging ich langsam und bedächtig durch den Wald.
    Es war, als würde ich in die Ruine einer prächtigen, alten Stadt geraten. Die Bäume ragten höher auf als Kathedralensäulen. Sie rangen um Platz, stützten mächtige, umgestürzte Stämme, lehnten sich in das Gefälle des Hügels; Eichen, Buchen, Eschen, andere, die ich nicht kannte. Lange Lichtspeere, schwach und heilig, drangen durch die Gewölbe aus Grün. Efeu hing kaskadenartig von Ästen herab, ließ die massigen Stämme verschwimmen, verwandelte Stümpfe in Monolithen. Ich schritt über ein Polster aus dicken, federnden

Weitere Kostenlose Bücher