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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Mischung aus Verlegenheit und Schadenfreude – »Devlin hat doch gesagt, Andrews hätte sich am Telefon besoffen angehört, nicht? Und gestern haben wir uns auch gefragt, ob er nicht einen im Tee hat. Der Knabe könnte ein kleines Alkoholproblem haben. Ich frage mich, wie wir ihn wohl anträfen, wenn wir ihm so gegen acht oder neun Uhr abends einen Besuch abstatten würden. Vielleicht wäre er dann gesprächiger, ohne gleich seinen Anwalt anzurufen. Ich weiß, es gehört sich nicht, die Schwächen eines Menschen auszunutzen, aber ...«
    »Rob hat recht«, sagte Cassie kopfschüttelnd, »du hast eine grausame Ader.«
    Sams Augen rundeten sich einen Moment lang bestürzt; dann fiel der Groschen. »Ihr zwei könnt mich mal«, sagte er fröhlich und vollführte eine volle Drehung mit seinem Schreibtischstuhl, die Füße noch immer in der Luft.

    Am Abend waren wir alle in ausgelassener Stimmung, wie Kinder, die unerwartet einen Tag schulfrei kriegen. Sam hatte O'Kelly tatsächlich überreden können, einen richterlichen Beschluss zum Abhören von Andrews’ Telefon zu erwirken. Er jubelte: »Ich weiß, der kleine Scheißkerl hat was zu verbergen, Leute, jede Wette. Ein paar Bierchen zu viel irgendwann an den nächsten Abenden, und zack! wir haben ihn.« Er hatte zur Feier des Tages einen köstlichen, buttergelben Weißwein mitgebracht. Ich fühlte mich erlöst und unbeschwert und war so hungrig wie schon seit Wochen nicht mehr. Ich machte ein riesiges Omelett, das ich wie einen Pfannkuchen hoch in der Luft zu wenden versuchte, sodass es fast in der Spüle landete. Cassie wirbelte barfuß in der Wohnung herum, schnitt ein Baguette in Scheiben, drehte die Dixie Chicks lauter und lästerte über meine Hand-Augen-Koordination: »Und diesem Burschen hat tatsächlich jemand eine Schusswaffe anvertraut. Über kurz oder lang will er bestimmt mal bei einer Frau damit Eindruck schinden und schießt sich ins Bein ...« Nach dem Essen spielten wir Cranium, eine übermütige Drei-Personen-Variante – mir fehlen die Worte, um auch nur halbwegs adäquat zu schildern, wie Sam nach vier Gläsern Wein versuchte, pantomimisch einen »Vergaser« darzustellen (»C-3PO? Eine Kuh melken? ... Das Männchen in Schweizer Uhren!«). Die langen weißen Vorhänge blähten sich im Luftzug durchs Fenster, eine Mondsichel hing am dämmrigen Himmel, und ich wusste nicht, wann ich zuletzt so einen Abend erlebt hatte, einen glücklichen, albernen Abend, ohne dass winzige graue Schatten an den Rändern jedes Gespräches zupften.
    Als Sam gegangen war, brachte Cassie mir Swingtanzen bei. Wir hatten nach dem Essen zu viele Cappuccinos getrunken, um die neue Maschine zu taufen, daher waren wir noch Stunden davon entfernt, schlafen zu können, und kratzige altmodische Musik strömte aus dem CD-Player. Cassie nahm meine Hände und zog mich vom Sofa. »Woher zum Teufel kannst du Swing?«, fragte ich.
    »Meine Tante und mein Onkel fanden, Kinder sollten möglichst viel lernen. Deshalb hab ich jede Menge Unterricht gekriegt. Ich kann auch mit Kohle zeichnen und Klavier spielen.«
    »Alles gleichzeitig? Ich kann Triangel spielen. Und ich habe zwei linke Füße.«
    »Egal. Ich will tanzen.«
    Die Wohnung war zu klein. »Los«, sagte Cassie. »Zieh die Schuhe aus.« Sie drehte die Musik noch lauter und kletterte aus dem Fenster die Feuerleiter hinunter auf das Dach des Anbaus.
    Ich kann wirklich nicht tanzen, aber sie paukte mir unermüdlich die Grundschritte ein, brachte ihre Füße immer wieder flink vor meinen in Sicherheit, bis ich plötzlich den Dreh raushatte und wir tanzten, drehend und wiegend, bedenklich nah am Rand des Flachdachs. Cassies Turnerinnenhände in meinen waren stark und biegsam. »Du kannst ja doch tanzen!«, rief sie atemlos und mit glänzenden Augen über die Musik hinweg.
    »Was?«, rief ich und stolperte über meine Füße. Lachen entrollte sich wie Luftschlangen über die dunklen Gärten weiter unten.
    Irgendwo wurde ein Fenster aufgerissen, und eine bebende Stimme schrie: »Musik leiser oder ich ruf die Polizei!«
    »Wir sind die Polizei!«, brüllte Cassie. Ich hielt ihr den Mund zu, und wir schüttelten uns vor unterdrücktem Lachen, bis das Fenster nach kurzem verwirrten Schweigen wieder zuknallte. Cassie kletterte schnell die Feuerleiter hoch, hielt sich, noch immer kichernd, mit einer Hand fest, während sie mit der Fernbedienung durch das Fenster die Musik wechselte – Chopins Nocturnes – und die Lautstärke leiser stellte.
    Wir

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