Grabesgrün
sich ganz schnell drehte. Sie war am Morgen später als sonst nach draußen gekommen und hatte den ganzen Tag kaum etwas gesagt. Sie war sowieso eher still, aber diesmal war es anders: Ihr Schweigen umgab sie wie eine dicke, geschlossene Wolke, und das machte mich und Peter ganz unruhig.
Peter schoss johlend über die Rampe und fuhr nach der Landung im Zickzack weiter, verfehlte knapp die beiden kleinen Mädchen auf dem Dreirad. »Ihr seid doch bescheuert, ihr bringt uns noch alle um«, zeterte Tara über ihre Puppen hinweg. Sie trug ein langes Blümchenkleid und einen ulkigen Hut mit Schleife.
»Du hast mir gar nichts zu sagen«, rief Peter zurück. Er bog auf Audreys Rasen, sauste an Tara vorbei und riss ihr den Hut vom Kopf. Tara und Audrey kreischten in geübtem Einklang.
»Adam! Fang!« Ich folgte ihm in den Garten und schaffte es, den Hut zu fangen, ohne vom Rad zu fallen. Ich stülpte ihn mir auf und umkreiste freihändig das Puppenklassenzimmer. Audrey versuchte, mich umzustoßen, aber ich wich aus. Sie war ganz hübsch und sah auch nicht richtig sauer aus, deshalb passte ich auf, dass ich ihre Puppen nicht überfuhr. Tara stemmte die Hände in die Hüften und schimpfte Peter aus. »Jamie!«, rief ich. »Los, komm!«
Jamie stand noch immer auf der Straße und ließ ihren Vorderreifen rhythmisch am Rand der Rampe auftitschen. Sie warf ihr Rad hin, rannte los und schwang sich über die Siedlungsmauer.
Peter und ich vergaßen Tara (»Wie kann man nur so doof sein, warte nur, bis Mummy hört, was du gemacht hast ...«), bremsten ab und blickten einander an. Audrey schnappte mir den Hut vom Kopf und rannte davon, mit einem Blick über die Schulter, ob ich sie verfolgte. Wir ließen die Räder auf der Straße und kletterten hinter Jamie her auf die Mauer.
Sie saß in der Autoreifenschaukel und schwang hin und her, stieß sich alle paar Male von der Mauer ab. Ihr Kopf war gesenkt, und ich konnte nur den Vorhang aus glatten, hellen Haaren und ihre Nasenspitze sehen. Wir setzten uns auf die Mauer und warteten.
»Meine Mum hat mich heute Morgen gemessen«, sagte Jamie schließlich. Sie knibbelte an einer Kruste am Fingerknöchel.
Ich dachte verwirrt an den Türrahmen in unserer Küche: glänzendes weißes Holz, mit Bleistiftstrichen und Daten, als Markierung, wie ich wuchs. »Na und?«, sagte Peter.
»Für die Uniform !«, schrie Jamie. »Du Trottel.« Sie rutschte aus dem Reifen und lief davon, in den Wald.
»Mann«, sagte Peter. »Was ist denn mit der los?«
»Sie muss ins Internat«, sagte ich. Bei den Worten wurden mir die Knie weich.
Peter schnitt eine angewiderte, ungläubige Grimasse. »Muss sie nicht. Hat ihre Mum doch gesagt.«
»Nein, hat sie nicht. Sie hat gesagt: ›Wir werden sehen.‹«
»Ja, aber seitdem hat sie kein Wort mehr dazu gesagt.«
»Okay, ja, jetzt aber, klar?«
Peter blinzelte in die Sonne. »Komm«, sagte er und sprang von der Mauer.
»Wo willst du hin?«
Er antwortete nicht. Er hob sein Fahrrad und das von Jamie auf und schob sie zusammen nach Hause in den Garten. Ich folgte ihm mit meinem.
Peters Mutter hängte die Wäsche auf, hatte eine Reihe Wäscheklammern seitlich an die Schürze gesteckt. »Ärgert Tara nicht immer so«, sagte sie.
»Meinetwegen«, sagte Peter und ließ die Räder auf den Rasen fallen. »Mum, wir gehen ein bisschen in den Wald, okay?« Das Baby, Sean Paul, lag auf einer Decke, nur mit einer Windel bekleidet, und unternahm erste Krabbelversuche. Ich stupste ihn mit der Schuhspitze in die Seite, er rollte sich auf den Rücken, griff nach meinem Turnschuh und grinste zu mir hoch. »Braves Baby«, sagte ich. Ich hatte keine Lust, Jamie zu suchen. Ich dachte, ich könnte vielleicht bleiben und für Mrs Savage auf Sean Paul aufpassen und warten, bis Peter zurückkam, um mir zu sagen, dass Jamie fortmusste.
»Um halb sieben bist du zu Hause«, sagte Mrs Savage und strich Peter, als er an ihr vorbeikam, geistesabwesend die Haare glatt. »Hast du deine Uhr mit?«
»Ja.« Peter wedelte mit dem Handgelenk. »Komm, Adam, gehen wir.«
Immer wenn etwas nicht in Ordnung war, trafen wir uns im obersten Raum der Burg. Die Treppe nach oben war schon lange weggebrochen, und vom Boden aus war nicht zu erkennen, dass da oben überhaupt etwas war. Wir mussten außen an der Mauer hochklettern, bis ganz nach oben, und sprangen dann runter auf den Steinboden. Efeu hing an den Mauern herab, darüber ein Gewirr von Zweigen: Es war wie ein Vogelnest hoch in der
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