Grabesgrün
los, Rob?«, fragte sie, als sie den Kopf hob.
Mein Magen sackte nach unten. Wir alle haben solche quälenden Gespräche schon gehabt, aber ich kenne keinen einzigen Mann, der darin etwas Nützliches sieht, und ich habe auch noch kein einziges Mal erlebt, dass sie irgendetwas Positives bewirkt hätten. Ich hatte inständig gehofft, dass Cassie zu den seltenen Frauen gehören würde, die einfach mal etwas auf sich beruhen lassen können. »Nichts ist los«, sagte ich.
»Wieso benimmst du dich so komisch?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich bin fix und fertig, der Fall ist im Eimer, die letzten paar Wochen haben mir echt den Rest gegeben. Hat nichts mir dir zu tun.«
»Hör auf, Rob. Natürlich hat es was mit mir zu tun. Du behandelst mich wie eine Aussätzige seit ...« Mein ganzer Körper spannte sich an. Cassies Stimme verlor sich.
»Das stimmt doch gar nicht«, sagte ich. »Ich brauch im Moment bloß ein bisschen Freiraum. Okay?«
»Keine Ahnung, was das heißen soll. Ich weiß nur, dass du mich meidest wie die Pest, und ich kann nichts dagegen machen, wenn ich den Grund nicht kenne.«
Aus dem Augenwinkel sah ich ihr entschlossen vorgerecktes Kinn, und ich wusste, ich würde mich nicht weiter rausreden können. »Ich meide dich nicht wie die Pest«, sagte ich. »Ich will bloß nicht alles noch komplizierter machen, als es ohnehin schon ist. Ich bin im Augenblick absolut unfähig, mich auf eine Beziehung einzulassen, und ich will nicht den Eindruck erwecken –«
»Beziehung?« Cassies Augenbrauen schossen in die Höhe; sie hätte fast losgelacht. »Oh Gott, darum geht es hier? Nein, Ryan, ich erwarte nicht von dir, dass du mich heiratest und Vater meiner süßen Kinderchen wirst. Wie kommst du bloß darauf, dass ich eine Beziehung will? Ich will nur, dass alles wieder normal läuft, weil es so einfach lächerlich ist.«
Ich glaubte ihr nicht. Es war eine überzeugende Vorstellung – der verwunderte Blick, die lässig an der Wand lehnende Schulter, jeder andere hätte erleichtert aufgeseufzt, sie kurz unbeholfen umarmt und sogleich eine halbwegs normale Form des Umgangs wiederaufgenommen. Aber ich kannte Cassies Eigenarten in- und auswendig. Der schneller werdende Atem, die gerade Schulterhaltung der Turnerin, das kaum merkliche Zögern in ihrer Stimme: Sie hatte Angst, und das wiederum machte mir Angst.
»Ja«, sagte ich. »Versteh ich.«
»Du weißt das im Grunde doch. Stimmt’s, Rob?« Wieder das winzige Beben.
»Ich glaube, in dieser Situation«, sagte ich, »ist es unmöglich, sich wieder normal zu verhalten. Samstagnacht war ein großer Fehler, und ich wünschte, es wäre nie passiert. Und jetzt müssen wir damit klarkommen.«
Cassie schnippte Asche aufs Kopfsteinpflaster, aber ich hatte in ihrem Gesicht den verletzten Ausdruck aufblitzen sehen, starr und schockiert, als hätte ich sie geohrfeigt. Nach einem Augenblick sagte sie: »Also, ich weiß nicht, wieso das ein Fehler gewesen sein soll.«
»Es hätte nicht passieren dürfen«, sagte ich. Ich presste den Rücken so fest gegen die Mauer, dass ich jeden kleinen Vorsprung durch den Anzug spüren konnte. »Und es wäre auch nie passiert, wenn ich nicht wegen anderer Dinge so fertig gewesen wäre. Tut mir leid, aber so ist es nun mal.«
»Okay«, sagte sie, sehr vorsichtig, »okay. Aber es muss keine Riesensache sein. Wir sind Freunde, wir sind uns nah, deshalb ist es ja passiert. Es sollte uns eigentlich bloß noch ein bisschen näherbringen, Ende, aus.«
Das klang ungemein einsichtig und vernünftig. Ich wusste, dass ich derjenige war, der sich pubertär anhörte, melodramatisch, und das machte mich nur noch trotziger. Aber ihre Augen: Ich hatte den Blick darin schon einmal gesehen, über die Nadel eines Junkies hinweg, in einer Wohnung, in der kein Mensch leben sollte, und auch da hatte sie sich sehr plausibel und ruhig angehört. »Ja«, sagte ich und sah weg. »Vielleicht. Ich brauch nur ein bisschen Zeit zum Nachdenken. Es ist so viel passiert, das muss ich erst mal verdauen.«
Cassie breitete die Hände aus. »Rob«, sagte sie. Diese dünne, klare, verwirrte Stimme werde ich nie vergessen können. »Rob, ich bin’s doch nur.«
Ich konnte ihr nicht zuhören. Ich konnte sie kaum ansehen. Ihr Gesicht sah aus wie das einer Fremden, unergründlich und gefährlich. Ich wünschte mich weg, fast egal wohin. »Ich muss wieder rein«, sagte ich und warf meine Zigarette weg. »Kann ich mein Feuerzeug haben?«
Ich kann nicht erklären, warum ich
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