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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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ich damals etwas anderes behauptet habe. Das soll keine Entschuldigung sein, es ist aber eine Tatsache. Als ich zum Beispiel in den Wald ging, um dort die Nacht zu verbringen, hatte ich vorher nur sehr wenig geschlafen, noch weniger gegessen, dafür aber umso mehr Wodka getrunken. Ich stand unter ungeheurer Anspannung, und daher ist nicht auszuschließen, dass die nachfolgenden Ereignisse entweder ein Traum waren oder irgendeine verrückte Halluzination. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, und ich weiß auch keine Antwort, die sonderlich tröstlich wäre.
    Seit dieser Nacht konnte ich wenigstens wieder schlafen – und das mit einer Intensität, die mich nervös machte. Ich torkelte förmlich jeden Abend von der Arbeit nach Hause, wie ein Schlafwandler. Dann fiel ich sofort ins Bett, als würde ich von einem starken Magneten angezogen, und wenn der Wecker mich zwölf oder dreizehn Stunden später wieder in den Wachzustand zerrte, lag ich genauso da, wie ich mich hingelegt hatte, noch immer in meinen Klamotten. Einmal vergaß ich, den Wecker zu stellen, und wachte um zwei Uhr am Nachmittag auf, beim siebten Anruf einer ausgesprochen erbosten Bernadette.
    Auch die Erinnerungen und die eher bizarren Nebenwirkungen hatten aufgehört. Man könnte meinen, das wäre eine Erleichterung, was es zu der Zeit auch war: Für mich war alles, was mit Knocknaree zu tun hatte, unweigerlich eine Katastrophenmeldung, und ohne ging es mir erheblich besser. Ich fand, darauf hätte ich auch schon eine Weile früher kommen können, und ich hätte mich ohrfeigen mögen, dass ich so blöd gewesen war, alles, was ich wusste, zu ignorieren und fröhlich wieder in den Wald zu spazieren. Ich war nie im Leben so wütend auf mich gewesen. Erst viel später, als der Fall abgeschlossen war und der Staub sich auf die Trümmer gelegt hatte, tastete ich mich vorsichtig suchend an den Rändern meiner Erinnerung entlang, ohne fündig zu werden. Erst da dachte ich zum ersten Mal, dass es keine Erlösung war, sondern eine kolossale verpasste Chance, ein unwiderruflicher und verheerender Verlust.

18
    SAM UND ICH WAREN AM FREITAGMORGEN die Ersten im Büro. Ich hatte mir angewöhnt, so früh wie möglich zu kommen, ging dann die Telefonhinweise durch, in der Hoffnung, einen Vorwand zu finden, um den Tag woanders zu verbringen. Es regnete heftig. Cassie stand vermutlich neben ihrer Vespa und versuchte, das Ding in Gang zu bringen.
    »Tagesprogramm«, sagte Sam und winkte mit zwei Tonbandkassetten. »Er war gestern Abend in Plauderlaune, acht Anrufe, also bitte, bitte lieber Gott ...«
    Wir zapften seit nunmehr einer Woche Andrews’ Telefon an, mit so jämmerlichen Ergebnissen, dass O'Kelly bereits vulkanische Grollgeräusche von sich gab. Tagsüber tätigte Andrews zahlreiche aggressive, testosterongewürzte Anrufe auf seinem Handy. Abends bestellte er überteuerte »Gourmetgerichte für Lackaffen«, wie Sam missbilligend sagte, und ließ sie sich ins Haus liefern. Einmal rief er bei einer dieser Sexhotlines an, für die nachts im Fernsehen geworben wird. Er stand offenbar auf Dominas, und der Spruch »Verpass mir’nen roten Hintern, Celestine« sorgte im ganzen Dezernat immer wieder für Heiterkeit.
    Ich zog den Mantel aus und setzte mich. »Spiel’s nochmal, Sam«, sagte ich. Mein Humor hatte im Verlauf der letzten Wochen genauso gelitten wie alles andere. Sam warf mir einen Blick zu und legte eine Kassette in unseren veralteten kleinen Kassettenrekorder.
    Um 20.17 Uhr hatte Andrews laut Computerausdruck Lasagne mit geräuchertem Lachs, Pesto und einer Sauce aus sonnengetrockneten Tomaten bestellt. »Du lieber Himmel«, sagte ich angewidert.
    Sam lachte. »Nur das Beste für unseren Freund.«
    Um 20.23 Uhr hatte er seinen Schwager angerufen, um sich mit ihm für Sonntagnachmittag zum Golf zu verabreden, was nicht ohne zotige Männerscherze ablief. Um 20.41 Uhr hatte er noch einmal in dem Restaurant angerufen, um sich lautstark zu beschweren, weil sein Essen noch nicht da war. Er klang schon ein wenig angesäuselt. Es folgte eine längere Zeit ohne Anruf; anscheinend war die Lasagne doch noch eingetroffen.
    Um 00.08 Uhr rief er eine Nummer in London an: »Seine Exfrau«, sagte Sam. Andrews war in rührseliger Stimmung und wollte darüber reden, was falsch gelaufen war. »Dolores, dass ich dich hab gehen lassen, war der größte Fehler meines Lebens«, sagte er mit tränenerstickter Stimme. »Aber wer weiß, vielleicht war es ja auch richtig von mir.

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