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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Wissen Sie noch?« Damien rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, merkte es selbst und saß wieder still.
    Ein weiteres Foto vom Fundort, diesmal eine Nahaufnahme: getrocknetes Blut an Nase und Mund, ein Auge einen Spalt weit geöffnet. »Und nochmal: Katy, wo ihr Mörder sie abgelegt hat.«
    Ein Obduktionsfoto. »Katy am nächsten Tag.« Damien entwich die Atemluft. Wir hatten das grausigste Bild ausgesucht: die Gesichtshaut am Ohr heruntergeklappt, sodass der Schädel darüber freigelegt war, eine behandschuhte Hand, die mit einem Stahllineal auf die Fraktur zeigte, verklebtes Haar und Knochensplitter.
    »Der Anblick ist schwer zu ertragen, was?«, sagte Cassie, fast zu sich selbst. Ihre Finger schwebten über den Fotos, bewegten sich zu den Nahaufnahmen vom Fundort, liebkosten die Kontur von Katys Wange. Sie blickte auf, sah Damien an.
    »Ja«, flüsterte er.
    »Also für mich«, sagte ich, lehnte mich zurück und tippte auf das Obduktionsfoto, »sieht das ganz nach der Tat eines Psychopathen aus. Irgendein gewissenloser Irrer, den es anmacht, einem hilflosen Kind so was anzutun. Aber ich bin ja bloß Polizist. Detective Maddox dagegen hat Psychologie studiert. Wissen Sie, was ein Profiler ist, Damien?«
    Ein fast unmerkliches Kopfschütteln. Seine Augen waren noch immer gebannt auf die Fotos gerichtet, aber ich glaubte nicht, dass er sie sah.
    »Jemand, der studiert, welcher Typ von Persönlichkeit welche Art von Verbrechen verübt, und der Polizei sagt, nach welchem Tätertyp sie suchen soll. Detective Maddox ist unser Profiler, und sie hat in diesem Fall eine eigene Theorie über den Täter aufgestellt.«
    »Damien«, sagte Cassie, »ich will Ihnen was verraten. Ich bin schon seit dem ersten Tag davon überzeugt, dass der Täter jemand ist, der die Tat eigentlich gar nicht begehen wollte. Jemand, der nicht gewalttätig ist, kein Killer, jemand, dem es keinen Spaß macht, Schmerzen zu verursachen, der das nur getan hat, weil er es tun musste. Weil er keine andere Wahl hatte. Das sage ich schon die ganze Zeit.«
    »Stimmt«, bestätigte ich. »Wir Übrigen haben gesagt, sie ist übergeschnappt, aber sie ist konsequent dabei geblieben: Der Täter ist kein Psychopath, auch kein Serienmörder oder Kinderschänder.« Damien fuhr zusammen, ein rasches Zucken mit dem Kinn. »Was glauben Sie, Damien? Glauben Sie, wer so was tut, muss krank im Kopf sein, oder glauben Sie, das könnte auch einem normalen Menschen passieren, der noch nie jemandem was zuleide getan hat?«
    Er versuchte, mit den Schultern zu zucken, aber sie waren zu angespannt, sodass er nur ein groteskes Rucken zustande brachte. Ich stand auf und ging um den Tisch herum, ganz gemächlich, lehnte mich dann hinter ihm an die Wand. »Tja, die Antwort darauf werden wir wohl nur von dem Täter selbst erhalten. Aber mal angenommen, Detective Maddox hat recht. Ich meine, sie hat schließlich eine psychologische Ausbildung. Da räume ich durchaus ein, dass an ihrer Theorie was dran sein könnte. Also mal angenommen, der Täter gehört nicht zur gewalttätigen Sorte, er wollte niemals zum Mörder werden. Es ist einfach so passiert.«
    Damien hatte den Atem angehalten. Er stieß ihn aus, hielt ihn dann wieder mit einem kleinen Keuchen an.
    »Ich hab mit solchen Menschen schon zu tun gehabt. Wissen Sie, was mit ihnen passiert, danach? Sie gehen zugrunde, Damien. Sie können nicht damit leben. Wir haben das schon oft genug erlebt.«
    »Das ist nicht schön«, sagte Cassie leise. »Wir wissen, was passiert ist, der Typ weiß, dass wir es wissen, aber er hat Angst zu gestehen. Er glaubt, das Gefängnis ist das Schlimmste, was ihm passieren könnte. Mann, wenn er wüsste, wie er sich da täuscht. Jeden Tag, bis an sein Lebensende, wacht er morgens auf, und mit einem Schlag ist alles wieder da, als wäre es gestern gewesen. Jeden Abend hat er Angst vor dem Einschlafen wegen der Albträume. Er denkt die ganze Zeit, irgendwann muss es ja mal besser werden, aber nein, es wird nie besser.«
    »Und früher oder später«, sagte ich aus dem Schatten hinter ihm, »hat er einen Nervenzusammenbruch, und er landet für den Rest seines Lebens in einer Gummizelle, bis oben hin voll mit Beruhigungsmitteln. Oder er bindet eines Abends einen Strick ans Treppengeländer und erhängt sich. Öfter als Sie glauben, Damien, halten diese Menschen es einfach nicht mehr aus.«
    Das war natürlich Humbug. Von den gut ein Dutzend mir bekannten Mordfällen, in denen es nicht zur Anklage

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