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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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kam, hat sich nur ein Täter das Leben genommen, und der hatte psychische Probleme, die nie behandelt worden waren. Die Übrigen leben mehr oder weniger genauso weiter wie zuvor, gehen einer regelmäßigen Arbeit nach und abends auf ein Bier in den Pub und am Wochenende mit ihren Kindern in den Zoo, und falls sie zwischendurch mal Angstzustände bekommen, behalten sie das schön für sich. Der Mensch, das weiß ich besser als die meisten, kann sich an alles gewöhnen. Mit der Zeit sucht sich selbst das Undenkbare irgendwann eine kleine Nische in deinem Kopf und wird einfach zu etwas, das nun mal passiert ist. Aber Katy war erst seit einem Monat tot, und Damien hatte noch keine Zeit gehabt, das richtig zu begreifen. Er saß stocksteif auf seinem Stuhl, starrte nach unten auf seine Limo und atmete, als wäre er verletzt.
    »Wissen Sie, wer es irgendwann überwindet, Damien?«, fragte Cassie. Sie beugte sich über den Tisch und legte ihm die Fingerspitzen auf den Arm. »Diejenigen, die gestehen. Diejenigen, die ihre Strafe verbüßen. Sieben Jahre später oder so ist es vorüber. Sie werden aus dem Gefängnis entlassen, und sie können einen Neuanfang machen. Sie müssen nicht mehr jedes Mal, wenn sie die Augen schließen, das Gesicht ihres Opfers sehen. Sie müssen nicht mehr jede Sekunde jeden Tages befürchten, geschnappt zu werden. Sie müssen nicht mehr vor Schreck zusammenfahren, wenn sie einen Polizisten sehen oder es bei ihnen an der Tür klopft. Glauben Sie mir: Auf lange Sicht sind sie es, die davonkommen.«
    Er umklammerte die Dose so fest, dass sie mit einem lauten Knall einknickte. Wir zuckten zusammen.
    »Damien«, sagte ich ganz leise, »kommt Ihnen irgendwas davon vertraut vor?«
    Und auf einmal war es da: das leichte Lockern des Nackens, das Schwanken des Kopfes, als seine Rückenmuskeln zu Butter wurden. Fast unmerklich, nach einer halben Ewigkeit, nickte er.
    »Möchten Sie bis ans Ende Ihrer Tage damit leben?«
    Sein Kopf bewegte sich unstet von einer Seite zur anderen.
    Cassie tätschelte ihm einmal kurz den Arm und zog ihre Hand weg: nichts, was nach erzwungenem Geständnis aussehen könnte. »Sie wollten Katy gar nicht töten, nicht wahr?«, sagte sie, ganz sanft, als schwebte ihre Stimme wie Schnee durch den Raum. »Es ist einfach passiert.«
    »Ja.« Er flüsterte, kaum mehr als ein Atemhauch, aber ich hörte es. Ich lauschte so angestrengt, dass ich fast sein Herz schlagen hörte. »Es ist einfach passiert.«
    Einen Moment lang schien der Raum in sich zusammenzufallen, als hätte eine Explosion, zu gewaltig, um sie hören zu können, die ganze Luft weggesaugt. Keiner von uns konnte sich bewegen. Damiens Hände um die Limodose waren schlaff geworden. Sie fiel scheppernd auf den Tisch, wippte wild und blieb dann liegen. Das Deckenlicht malte Damien weiche Bronzestreifen auf die Locken. Dann atmete der Raum wieder ein, mit einem langsamen, satten Seufzen.
    »Damien James Donnelly«, sagte ich. Ich ging nicht zurück an den Tisch, um ihn anzusehen; ich war mir nicht sicher, ob meine Beine mich tragen würden. »Ich verhafte Sie wegen des Verdachts, am oder um den siebten August dieses Jahres, in Knocknaree im County Dublin, Katharine Bridget Devlin ermordet zu haben.«

21
    DAMIEN ZITTERTE HALTLOS. Wir räumten die Fotos weg und brachten ihm eine frische Tasse Kaffee, boten ihm an, ihm einen zusätzlichen Pullover zu besorgen, aber er schüttelte den Kopf, ohne uns anzusehen. Mir kam die ganze Szene völlig irreal vor. Ich konnte die Augen nicht von Damien abwenden. Ich hatte mir das Hirn zermartert, um verschüttete Erinnerungen zu wecken, ich war nachts in den Wald von Knocknaree gegangen, ich hatte meine Karriere aufs Spiel gesetzt, und ich war dabei, meine Partnerin zu verlieren, alles wegen dieses Jungen.
    Cassie belehrte ihn über seine Rechte – langsam und behutsam, als hätte er einen schlimmen Unfall gehabt –, und ich hielt im Hintergrund den Atem an, aber er wollte keinen Anwalt. »Wozu? Ich war’s, Sie wussten es ja sowieso schon, alle werden es erfahren, was soll ein Anwalt da noch ... ich muss ins Gefängnis, nicht? Muss ich ins Gefängnis?« Ihm klapperten die Zähne. Er brauchte dringend etwas deutlich Stärkeres als Kaffee.
    »Machen Sie sich darüber noch keine Gedanken, okay?«, sagte Cassie beruhigend. Unter den gegebenen Umständen fand ich den Vorschlag ziemlich grotesk, aber Damien wurde tatsächlich ein wenig ruhiger. Er nickte sogar. »Wenn Sie uns weiter helfen, tun

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