Grabesgrün
hatte plötzlich ein halluzinatorisches Bild vor Augen, wie mir aufgeregte Journalisten vor meiner Wohnung auflauerten, mir Mikros vors Gesicht hielten, mich Adam nannten und blutige Einzelheiten hören wollten. Heather wäre begeistert: Von dieser Portion Melodramatik und Märtyrertum könnte sie monatelang zehren. Oh Gott.
» Nein, Sie sind nicht aus dem verfluchten Fall raus«, fauchte O'Kelly. »Und zwar allein deshalb nicht, weil ich nicht will, dass irgendein Klugscheißer von Reporter neugierig wird, warum ich Sie von der Sache abgezogen habe. Ab sofort geht es um Schadensbegrenzung. Sie befragen keinen einzigen Zeugen mehr, Sie fassen kein einziges Beweisstück mehr an, Sie bleiben schön an Ihrem Schreibtisch sitzen und versuchen, alles nicht noch schlimmer zu machen, als es ohnehin schon ist. Wir tun, was wir können, damit nichts davon nach außen dringt. Und sobald Donnellys Prozess vorbei ist, falls es überhaupt zum Prozess kommt, sind Sie vom Dezernat suspendiert, bis die Sache geklärt ist.«
»Sir, es tut mir leid«, sagte ich, es war das Einzige, was mir einfiel. Ich hatte keine Ahnung, was eine Suspendierung für mich bedeuten würde. Mir schoss ein Bild durch den Kopf, wie ein Cop im Fernsehen seine Marke und seine Pistole auf den Schreibtisch seines Vorgesetzten knallt. Ende einer Karriere.
»Dafür kann ich mir nichts kaufen«, erwiderte O'Kelly ausdruckslos. »Gehen Sie die Tipps von der Hotline durch und legen Sie sie ab. Wenn der alte Fall irgendwo auch nur erwähnt wird, lesen Sie nicht zu Ende, sondern geben direkt an Maddox oder O’Neill weiter.« Er setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer. Ich stand da und starrte ihn ein paar Sekunden lang an, ehe ich begriff, dass ich gehen sollte.
Ich ging ganz langsam zurück zum SOKO-Raum – ich kann nicht sagen, warum, ich hatte nicht die Absicht, mich mit den Hotline-Tipps zu befassen. Ich vermute, ich lief auf Autopilot. Cassie saß vor dem Videorekorder, die Ellbogen auf den Knien, und sah sich das Band von meinem Verhör mit Damien an. Ihre Schultern hingen erschöpft herab, die Fernbedienung baumelte schlaff in ihrer Hand.
Irgendetwas tief in mir tat einen furchtbaren Ruck. Bis zu dem Augenblick war ich gar nicht auf die Idee gekommen, mich zu fragen, woher O’Kelly es wusste. Erst jetzt, als ich in der Tür stand und Cassie sah, fiel der Groschen: Es gab nur eine Möglichkeit, wie er es erfahren haben konnte.
Mir war vollkommen klar, dass ich mich in letzter Zeit Cassie gegenüber beschissen verhalten hatte – aber die Situation war kompliziert, und ich hatte meine Gründe. Dagegen war das hier durch nichts, was ich ihr angetan hatte, gerechtfertigt. Ich hätte einen solchen Verrat niemals für möglich gehalten. Die Hölle kennt keinen schlimmeren Zorn. Ich dachte, mir würden die Beine wegknicken.
Vielleicht hatte ich unwillkürlich einen Laut von mir gegeben oder eine Bewegung gemacht, ich weiß nicht, jedenfalls drehte Cassie sich abrupt mit ihrem Stuhl um und sah mich an. Nach einer Sekunde drückte sie die Stopptaste und legte die Fernbedienung weg. »Was hat O’Kelly gesagt?«
Sie wusste es. Sie wusste es, und mein letzter Funken Zweifel erlosch. »Sobald der Fall erledigt ist, bin ich suspendiert«, sagte ich monoton. Meine Stimme klang, als gehörte sie jemand anderem.
Cassie machte große, entsetzte Augen. »Ach, du Scheiße«, sagte sie. »Ach, du Scheiße, Rob ... Aber du bist nicht raus? Er hat – er hat dich nicht rausgeschmissen oder so?«
»Nein, ich bin nicht raus«, sagte ich. »Und das verdanke ich bestimmt nicht dir.« Der erste Schock ließ allmählich nach, und ein kalter, böser Zorn durchflutete mich wie elektrischer Strom. Ich spürte, wie mein ganzer Körper davon zitterte.
»Das ist nicht fair«, sagte Cassie, und ich hörte ein leichtes Zittern in ihrer Stimme. »Ich wollte dich warnen. Ich hab dich gestern Abend angerufen, ich weiß nicht, wie oft –«
»Da war es ein bisschen spät, um dir meinetwegen noch Sorgen zu machen, oder? Das hättest du dir vorher überlegen sollen.«
Selbst Cassies Lippen waren weiß, ihre Augen riesig. Am liebsten hätte ich ihr den verblüfften, verständnislosen Blick aus dem Gesicht geprügelt. »Vorher?«, fragte sie.
»Ja, vorher! Ehe du O'Kelly mit meinem Privatleben unterhalten hast. Fühlst du dich jetzt besser, Maddox? Hast du mir die Karriere versaut, weil ich dich diese Woche nicht wie eine kleine Prinzessin
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