Grabesgrün
würde, um sie mit Damien zu konfrontieren.
Schließlich gab ich auf. Es war halb neun, und ich kam nicht weiter: Damien war am Ende, der beste Detective der Welt hätte keinen zusammenhängenden Satz mehr aus ihm rausholen können, und ich hätte das längst merken müssen. »Kommen Sie«, sagte ich zu ihm. »Essen Sie was, und dann legen Sie sich aufs Ohr. Wir machen morgen weiter.«
Er blickte zu mir hoch. Seine Nase war rot, und seine Augen waren halb zugeschwollen. »Kann ich ... kann ich nach Hause?«
Du bist wegen Mordes festgenommen worden, du Leuchte, was glaubst du wohl ... Mir fehlte die Energie für Sarkasmus. »Wir behalten Sie über Nacht hier«, sagte ich. »Ich lasse Sie von jemandem abholen.« Als ich die Handschellen hervorholte, starrte er sie an, als wären sie ein mittelalterliches Folterinstrument.
Die Tür zum Beobachtungsraum stand offen, und als wir daran vorbeigingen, sah ich O'Kelly vor der Scheibe stehen, wie er mit den Händen in den Taschen auf den Fersen vor und zurück wippte. Mein Herz tat einen Satz. Cassie musste im großen Vernehmungsraum sein: Cassie und Rosalind. Ich überlegte kurz hineinzugehen, verwarf die Idee aber gleich wieder: Rosalind sollte mich nicht mit dem ganzen Debakel in Verbindung bringen. Ich übergab Damien – er war noch immer kalkweiß im Gesicht und schnappte in langen Schluchzern nach Luft wie ein Kind, das zu feste geweint hat – an die Kollegen in Uniform und fuhr nach Hause.
22
DAS TELEFON KLINGELTE gegen Viertel vor zwölf in der Nacht, und ich hechtete sofort danach. Heather hat was gegen Anrufe, nachdem sie zu Bett gegangen ist.
»Hallo?«
»Tschuldige, dass ich noch so spät anrufe, aber ich hab’s den ganzen Abend auf deinem Handy versucht«, sagte Cassie.
Ich hatte den Klingelton ausgestellt, aber gesehen, wie oft sie angerufen hatte. »Ich kann jetzt wirklich nicht«, sagte ich.
»Rob, verdammt nochmal, es ist wichtig –«
»Tut mir leid, ich muss Schluss machen«, sagte ich. »Ich bin morgen irgendwann im Büro, oder leg mir einen Zettel hin.« Ich hörte den raschen, schmerzlichen Atemzug, legte aber trotzdem auf.
»Wer war das?«, fragte Heather, die in einem Nachthemd mit Kragen an ihrer Zimmertür erschienen war und verschlafen und gereizt aussah.
»Für mich«, sagte ich.
»Cassie?«
Ich ging in die Küche, nahm die Eisschale aus dem Gefrierfach und ließ Würfel in ein Glas klimpern. »Ohhh«, sagte Heather wissend hinter mir. »Du hast endlich mit ihr geschlafen, nicht?«
Ich warf die Eisschale zurück ins Gefrierfach. Heather lässt mich in Ruhe, wenn ich sie darum bitte, aber es lohnt sich eigentlich nicht: Sie ist dann eingeschnappt oder hält mir Vorträge über ihre einzigartige Sensibilität, und das kann länger dauern, als die anfängliche Verstimmung gedauert hätte.
»Das hat sie nicht verdient«, sagte sie. Ich war überrascht. Heather und Cassie können einander nicht leiden – einmal, ganz am Anfang, hatte ich Cassie zum Essen mit nach Hause gebracht, und Heather war den ganzen Abend latent unhöflich, während Cassie Heather mit keinem Wort mehr erwähnte –, und ich konnte mir nicht erklären, woher die plötzliche Frauensolidarität rührte. »Genauso wenig wie ich«, sagte sie und verschwand türknallend in ihrem Zimmer. Ich ging mit dem Eis in mein Zimmer und machte mir einen starken Wodka Tonic.
Natürlich konnte ich nicht schlafen. Als das erste Tageslicht durch die Vorhänge drang, gab ich es auf: Ich würde einfach früh zur Arbeit gehen, beschloss ich. Vielleicht fand ich ja heraus, was Cassie zu Rosalind gesagt hatte, und ich konnte schon mal für die Staatsanwaltschaft die Akte über Damien vorbereiten. Aber es regnete noch immer, als ich losfuhr, und die Straßen waren schon verstopft. Zu allem Übel hatte der Land Rover auch noch auf der Merrion Road einen Plattfuß. Ich musste am Straßenrand den Reifen wechseln, der Regen lief mir in den Kragen, und alle Autofahrer, die sich an mir vorbeizwängen mussten, hupten verärgert, als wenn sie tatsächlich schneller vorankämen, wenn mir das Malheur nicht passiert wäre. Schließlich knallte ich das Blaulicht aufs Dach, und das Hupkonzert wurde leiser.
Um kurz vor acht war ich endlich im Büro. Das Telefon klingelte unweigerlich los, als ich noch meinen Mantel auszog. »Detective Ryan«, meldete ich mich gereizt. Ich war durchnässt und fror und hatte die Nase voll. Ich wollte am liebsten nach Hause und ein Bad nehmen und einen heißen Whiskey
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