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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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weiter ansehen. Ich hantierte mit der Fernbedienung, drückte auf Stopp und starrte blind auf das vibrierende blaue Quadrat.
    »Cassie«, sagte ich nach sehr langer Zeit.
    »Er wollte wissen, ob es stimmt«, sagte sie, mit so ruhiger Stimme, als würde sie einen Bericht vorlesen. »Ich hab gesagt, nein, es stimmt nicht, und wenn doch, hättest du es ihr wohl kaum erzählt.«
    »Hab ich auch nicht«, sagte ich. Es schien mir wichtig, dass sie das wusste. »Ehrlich nicht. Ich hab ihr erzählt, zwei Freunde von mir wären verschwunden, als wir klein waren – ich wollte ihr klarmachen, dass ich verstehe, was sie durchmacht. Ich hätte nie gedacht, dass sie das mit Peter und Jamie weiß und sich den Rest zusammenreimen würde. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen.«
    Cassie wartete, bis ich fertig war. »Er hat mir vorgeworfen, ich würde dich schützen«, sagte sie, »und meinte dann noch, er hätte uns längst trennen sollen. Er hat gesagt, er würde deine Fingerabdrücke mit denen aus dem alten Fall vergleichen lassen, selbst wenn er dafür einen Kollegen von der Spurensicherung aus dem Bett holen müsste, selbst wenn es die ganze Nacht dauern würde. Wenn die Abdrücke übereinstimmten, meinte er, könnten wir froh sein, wenn wir unseren Job behalten. Dann sollte ich Rosalind nach Hause schicken. Ich hab sie an Sweeney übergeben und von da an versucht, dich auf dem Handy zu erreichen.«
    Irgendwo im Hinterkopf hörte ich ein Klicken, schwach und unwiderruflich. Die Erinnerung verstärkt es zu einem ohrenbetäubenden, hallenden Knall, aber gerade weil es so ein kleines Geräusch war, wirkte es so entsetzlich. Wir saßen einfach so da, lange, ohne zu sprechen. Der Wind sprühte Regenspritzer gegen das Fenster. Einmal hörte ich Cassie tief einatmen, und ich dachte, sie würde vielleicht weinen, aber als ich aufblickte, sah ich keine Tränen in ihrem Gesicht; es war blass und still und unendlich traurig.

23
    WIR SASSEN NOCH IMMER SO DA, als Sam hereinkam. »Was liegt an?«, sagte er, rubbelte sich den Regen aus den Haaren und schaltete das Licht an.
    Cassie bewegte sich, hob den Kopf. »O’Kelly möchte, dass wir beide nochmal versuchen, Damiens Motiv rauszufinden. Er wird gerade rübergebracht.«
    »Super«, sagte Sam, »mal sehen, ob ein neues Gesicht ihn ein bisschen aus dem Gleichgewicht bringt«, aber er hatte uns beide kurz betrachtet, und ich fragte mich, wie viel er sich denken konnte, fragte mich zum ersten Mal, wie viel er die ganze Zeit gewusst und einfach nicht angesprochen hatte.
    Er zog einen Stuhl heran und setzte sich neben Cassie, und dann besprachen sie, wie sie bei Damien vorgehen wollten. Sie hatten vorher noch nie zusammen ein Verhör durchgeführt. Ihre Stimmen waren zögerlich, ernst, entgegenkommend und hoben sich am Ende zu kleinen Fragezeichen: Meinst du, wir sollten ...? Wie wär’s, wenn wir ...? Cassie wechselte die Kassette im Videorekorder, spielte Sam Ausschnitte aus dem Verhör vom Vorabend vor. Das Faxgerät gab eine Reihe irrwitziger Comicgeräusche von sich und spuckte die Listen mit Damiens Handyverbindungen aus. Sofort machten sich Sam und Cassie mit einem Textmarker über die Blätter her.
    Als sie schließlich gingen, wobei mir Sam kurz über die Schulter zunickte, wartete ich im leeren Büro, bis ich sicher war, dass sie mit dem Verhör begonnen hatten, und sah dann nach, welchen Raum sie benutzten: den Hauptverhörraum. Ich schlich mich in den Beobachtungsraum, und dabei glühten mir die Ohren, als würde ich in ein Pornokino huschen. Ich wusste genau, dass es mir schwerfallen würde, den beiden zuzusehen, doch ich konnte einfach nicht wegbleiben.
    Sie hatten den Raum so gemütlich gemacht wie nur möglich: Jacken und Taschen und Schals auf Stühle geworfen, den Tisch übersät mit Kaffeebechern und Zuckerpäckchen, mit Handys und einer Karaffe Wasser und einem Teller klebriger Hefeteilchen. Damien trug noch immer den überweiten Pullover und die Cargohose – die Sachen sahen aus, als hätte er darin geschlafen. Er hatte die Arme fest um den Oberkörper geschlungen und blickte sich mit großen Augen um. Nach der kalten, befremdenden Gefängniszelle kam ihm der Verhörraum bestimmt wie der Himmel auf Erden vor, sicher und warm und fast heimelig. Manchmal, je nachdem, wie er den Kopf hielt, waren an seinem Kinn ein paar mickrige blonde Stoppeln zu sehen. Cassie und Sam hockten plaudernd auf dem Tisch, meckerten über das Wetter und boten Damien ein Glas Milch an. Ich

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