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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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»Ich fass es nicht! Geht es hier etwa darum? Nur weil du gedacht hast, ich hätte ihr erzählt –« Rosalind hatte ins Blaue hineingeraten, ich hatte weder ihr noch sonst wem irgendetwas erzählt, und dass Cassie mir das zugetraut hatte, sozusagen als Rache, ohne mich auch nur darauf anzusprechen –
    »Halt den Mund«, sagte sie kalt hinter mir. Ich ballte die Fäuste und starrte auf den Fernseher. Vor lauter Wut konnte ich kaum noch richtig sehen.
    Auf dem Bildschirm hatte Cassie keine Miene verzogen; sie kippelte mit ihrem Stuhl nach hinten und schüttelte amüsiert den Kopf. »Tut mir leid, Miss Devlin, aber so leicht lasse ich mich nicht ablenken. Detective Ryan und ich haben genau das gleiche Interesse: Wir wollen den Mörder Ihrer Schwester finden. Also nochmal, warum haben Sie plötzlich keine Lust mehr, darüber zu sprechen?«
    Rosalind lachte. »Genau das gleiche Interesse? Ach, das sehe ich aber anders, Detective. Er hat nämlich eine ganz besondere Beziehung zu diesem Fall, oder nicht?«
    Selbst auf dem unscharfen Bildschirm konnte ich sehen, wie Cassie kurz blinzelte und in Rosalinds Gesicht ein triumphaler Ausdruck aufblitzte, als ihr klar wurde, dass sie Cassies Deckung diesmal unterlaufen hatte. »Oh«, sagte sie zuckersüß. »Soll das heißen, Sie wissen es nicht?«
    Sie stockte nur einen Sekundenbruchteil, nur gerade lange genug, um die Spannung zu erhöhen, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Denn ich wusste mit einem grässlichen Gefühl von Unvermeidlichkeit, was sie sagen würde. So müssen sich Stuntmen fühlen, wenn sie spüren, dass ein Sprung misslingt, oder Jockeys, wenn sie im vollen Galopp vom Pferd fallen: dieser lautlose, seltsam stille Zeitsplitter, kurz bevor dein Körper auf der Erde aufschlägt, wenn dein Kopf leergefegt ist bis auf eine einzige schlichte Gewissheit: Das war’s dann. Jetzt passiert’s.
    »Er ist der Junge, dessen Freunde in Knocknaree spurlos verschwunden sind, vor zig Jahren«, sagte Rosalind zu Cassie. Ihre Stimme war hoch und melodisch und fast gleichgültig; bis auf einen winzigen Anflug von Freude lag nichts darin, rein gar nichts. »Adam Ryan. Sieht so aus, als würde er Ihnen doch nicht alles erzählen, was?« Nur wenige Minuten zuvor hatte ich noch geglaubt, ich könnte mich unmöglich noch schlechter fühlen und doch weiterleben.
    Auf dem Bildschirm knallte Cassie mit den vorderen Stuhlbeinen auf den Boden und rieb sich ein Ohr. Sie biss sich auf die Lippe, um ein Lächeln zu unterdrücken, aber in mir war nichts mehr, womit ich mich hätte fragen können, was sie da machte. »Das hat er Ihnen erzählt?«
    »Ja. Wir sind uns wirklich sehr nahegekommen.«
    »Hat er Ihnen auch erzählt, dass er einen Bruder hatte, der mit sechzehn gestorben ist? Dass er im Kinderheim aufgewachsen ist? Dass sein Vater Alkoholiker war?«
    Rosalind starrte sie an. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht gewichen, und ihre Augen waren schmal, aufgeladen. »Wieso?«, fragte sie.
    »Interessiert mich bloß. Manchmal versucht er’s auch damit. Kommt ganz drauf an. Rosalind«, sagte sie, halb belustigt, halb verlegen, »ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, aber wenn Detectives versuchen, zu Zeugen eine Beziehung aufzubauen, dann sagen sie schon mal Dinge, die nicht unbedingt stimmen. Weil sie hoffen, dass die Zeugen dann eher bereit sind, Informationen preiszugeben. Verstehen Sie?«
    Rosalind starrte sie weiter reglos an.
    »Hören Sie«, sagte Cassie sachte, »ich weiß hundertprozentig, dass Detective Ryan nie einen Bruder hatte, dass sein Vater ein sehr netter Mann ohne jeden Hang zum Alkoholismus ist, und dass er in Wiltshire aufgewachsen ist – daher auch der Akzent –, weit weg von Knocknaree. Und auch nicht in einem Kinderheim. Aber ganz gleich, was er Ihnen erzählt hat, er wollte es Ihnen damit nur leichter machen, uns bei der Suche nach Katys Mörder zu helfen. Nehmen Sie ihm das bitte nicht krumm. Okay?«
    Die Tür wurde aufgerissen. Cassie zuckte zusammen; Rosalind rührte sich nicht, ließ Cassies Gesicht nicht aus den Augen. O'Kelly, durch den Kamerablickwinkel auf einen Klecks verkürzt, aber an den dünnen Strähnen, die er sich über die Glatze gekämmt hatte, sofort zu erkennen, beugte sich in den Raum hinein. »Maddox«, sagte er knapp. »Ich muss Sie kurz sprechen.«
    O'Kelly, als ich Damien hinausbrachte: im Beobachtungsraum, wie er auf den Absätzen vor und zurück wippte, ungeduldig durch die Scheibe blickte. Ich konnte mir das Band nicht

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