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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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immer.
    »War im übertragenen Sinne gemeint, Maddox«, sagte O'Kelly. »Sie sollten sich die Kriegsverletzung verarzten lassen.«
    »Es geht schon.«
    »Eins muss ich Ihnen lassen. Bei der da hatten Sie den richtigen Riecher.« Er klopfte ihr linkisch auf die Schulter. »Was sie da erzählt hat, dass sie die Schwester krank gemacht hat, zu deren eigenem Besten, würden Sie sagen, dass sie das wirklich glaubt?«
    »Nein«, sagte Cassie. Sie faltete das Taschentuch neu, um eine saubere Stelle zu suchen. »›Glauben‹ existiert für sie nicht. Dinge sind weder richtig noch falsch. Sie passen ihr in den Kram oder nicht. Alles andere hat für sie keine Bedeutung. Sie würde jeden Lügendetektortest mit fliegenden Fahnen bestehen.«
    »Sie hätte in die Politik gehen sollen. Da, es geht los.« O’Kelly nickte Richtung Scheibe: Sam führte Rosalind in den Verhörraum. »Mal sehen, wie sie versucht, da wieder rauszukommen. Könnte amüsant werden.«
    Rosalind sah sich im Raum um und seufzte. »Ich möchte, dass Sie sofort meine Eltern anrufen«, sagte sie zu Sam. »Sagen Sie ihnen, sie sollen mir einen Anwalt besorgen und herkommen.« Sie nahm einen zierlichen Stift und einen Terminkalender aus ihrer Blazertasche, schrieb etwas auf eine Seite, riss das Blatt heraus und gab es Sam. »Das ist ihre Nummer. Vielen Dank.«
    »Sie können Ihre Eltern sehen, wenn wir hier fertig sind«, sagte Sam. »Wenn Sie einen Anwalt wollen –«
    »Ich glaube, ich kriege sie früher zu sehen.« Rosalind strich sich den Rock glatt und nahm Platz. »Haben Minderjährige nicht das Recht, einen Elternteil oder Vormund bei einem Verhör dabeizuhaben?«
    Einen Moment lang erstarrten alle zur Salzsäule, bis auf Rosalind, die die Beine geziert übereinanderschlug und zu Sam hochlächelte, die Wirkung auskostete.
    »Vernehmung unterbrochen«, sagte Sam knapp. Er schnappte sich die Akte vom Tisch und strebte zur Tür.
    »Ich glaub, mich tritt ein Pferd«, sagte O'Kelly. »Ryan, soll das heißen –«
    »Sie könnte lügen«, sagte Cassie. Sie blickte gebannt durch die Scheibe, das Taschentuch in der geballten Hand.
    Mein Herz, das kurz ausgesetzt hatte, schlug doppelt so schnell weiter. »Natürlich lügt sie. Sehen Sie sie sich doch an, die ist doch nie im Leben unter –«
    »Ja, klar. Wissen Sie, wie viele Männer das schon gesagt haben und dann im Knast gelandet sind?«
    Sam stieß die Tür zum Beobachtungsraum mit solcher Wucht auf, dass sie gegen die Wand knallte. »Wie alt ist sie?«, fragte er mich.
    »Achtzehn«, sagte ich. Mir drehte sich alles. Ich wusste, dass ich mir sicher war, aber ich wusste nicht mehr, wieso. »Sie hat es mir gesagt –«
    »Herrgott! Und das hast du ihr einfach so abgekauft?« Ich hatte Sam noch nie wütend erlebt, und es war beeindruckender, als ich erwartet hätte. »Die lügt doch, wenn sie den Mund aufmacht. Du hast es nicht mal überprüft?«
    »Das sagt der Richtige«, fauchte O’Kelly. »Jeder von euch hätte das überprüfen können, dafür war reichlich Zeit, aber nein –«
    Sam achtete gar nicht auf ihn, sondern fixierte mich mit lodernden Augen. »Wir haben uns auf dein Wort verlassen, verdammt nochmal, du bist ja schließlich Detective . Du hast deine eigene Partnerin auf sie losgelassen, ohne auch nur –«
    »Ich hab’s überprüft!«, rief ich. »Ich hab in der Akte nachgesehen!« Aber noch während ich das aussprach, fiel es mir ein, mit einem schrecklichen Schlag. Ein sonniger Nachmittag, vor längerer Zeit; ich hatte die Akte durchgeblättert, während O'Gorman mir ins andere Ohr jammerte, hatte den Telefonhörer zwischen Wange und Schulter geklemmt und versucht, mit Rosalind zu reden und mich gleichzeitig zu vergewissern, ob sie in Frage kam, als Erwachsene bei meinem Gespräch mit Jessica dabei zu sein. (Und ich musste es gewusst haben, dachte ich, ich musste da schon gewusst haben, dass ihr nicht zu trauen war, warum hätte ich sonst eine solche Kleinigkeit überhaupt überprüfen wollen?) Ich hatte die Seite mit den Familienangaben gefunden und sie überflogen, bis ich Rosalinds Geburtsdatum fand, hatte ihr Alter ausgerechnet –
    Sam drehte sich mit Schwung von mir weg und wühlte hektisch die Akte durch, und ich sah den Augenblick, als seine Schultern herabsackten. »November«, sagte er leise. »Ihr Geburtstag ist am zweiten November. Dann wird sie achtzehn.«
    »Glückwunsch«, sagte O’Kelly düster, nach kurzem Schweigen. »An euch alle drei. Das war eine Meisterleistung.«
    Cassie

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