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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Schuluniform, ein schlichter marineblauer Faltenrock und ein Blazer mit Wappen auf der Brust, und aus irgendeinem Grund kam mir diese Verkleidung wie die Furchtbarste von allen vor.
    Cassie stolperte rückwärts, fing sich an einem Baumstamm ab und gewann das Gleichgewicht wieder. Als sie sich mir zuwandte, sah ich zuerst nur ihre Augen, groß und schwarz und blind. Dann sah ich das Blut, ein wirres rotes Netz seitlich am Gesicht. Im verschwommenen Schatten der Blätter schwankte sie ein wenig, und ein leuchtender Tropfen fiel vor ihren Füßen ins Gras.
    Ich war nur ein paar Schritte von ihr entfernt, aber irgendetwas hinderte mich daran, zu ihr zu gehen. Benommen und aufgelöst wie sie war, gebrandmarkt mit diesen bösen Striemen, sah sie aus wie eine heidnische Priesterin nach einem strahlenden, gnadenlosen Ritual: noch halb woanders und unberührbar, solange sie nicht das Zeichen gab. Es kribbelte mir im Nacken.
    »Cassie«, sagte ich und streckte die Arme nach ihr aus. Meine Brust fühlte sich an, als würde sie aufplatzen. »Ach, Cassie.«
    Ihre Hände hoben sich, griffen nach mir, und einen Moment lang, das schwöre ich, bewegte sich ihr ganzer Körper auf mich zu. Dann erinnerte sie sich. Die Hände fielen herab, ihr Kopf neigte sich nach hinten, und ihre Augen glitten ziellos über den weiten, blauen Himmel.
    Sam stieß mich aus dem Weg und kam mühsam neben ihr zum Stehen. »Mein Gott, Cassie ...« Er war außer Atem. »Was hat sie mit dir gemacht? Komm her.«
    Er zog seinen Hemdzipfel aus der Hose und betupfte ihr vorsichtig die Wange, die andere Hand an ihrem Hinterkopf, um sie zu stützen. »Aua. Scheiße«, sagte Sweeney durch zusammengebissene Zähne, als Rosalind ihm fest auf den Fuß trat.
    »Mich gekratzt«, sagte Cassie. Ihre Stimme war furchtbar, hoch und unheimlich. »Sie hat mich berührt , Sam, dieses Etwas hat mich berührt, Gott, sie hat mich angespuckt – Mach das weg. Mach das weg.«
    »Schsch«, sagte Sam. »Schsch. Es ist vorbei. Du hast das prima gemacht. Schsch.« Er nahm sie in die Arme und zog sie an sich, und ihr Kopf legte sich auf seine Schulter. Eine Sekunde lang blickte Sam mir direkt in die Augen; dann schaute er weg, nach unten auf seine Hände, die ihre wirren Locken streichelten.
    »Was zum Teufel ist denn passiert?«, fragte O'Kelly angewidert hinter mir.

    Nachdem Cassies Gesicht erst mal gesäubert worden war, stellte sich die Verletzung als doch nicht so schlimm heraus. Quer über die Wangenknochen verliefen drei breite, dunkle Linien von Rosalinds Fingernägeln, aber sie waren nicht tief, hatten nur stark geblutet. Der Techniker war in Erster Hilfe ausgebildet und meinte, die Wunden müssten nicht genäht werden. Es sei ein Glück, dass Rosalind das Auge verfehlte hatte. Er bot an, Cassie mit Pflastern zu verarzten, aber sie wollte die Kratzer erst auf dem Präsidium desinfizieren lassen. Sie zitterte am ganzen Körper, und der Techniker vermutete, dass sie unter Schock stand. O'Kelly, der noch immer konfus und leicht aufgebracht wirkte, bot ihr ein Karamellbonbon an. »Zucker«, erklärte er.
    Cassie war nicht in der Verfassung, ihre Vespa zu fahren, daher ließ sie den Roller stehen und fuhr vorn im Van mit zurück ins Präsidium. Sam saß am Steuer. Rosalind kam nach hinten zu uns. Sie war ruhig geworden, sobald Sweeney ihr die Handschellen angelegt hatte, und saß nun starr und empört da, sagte kein Wort. Jeder Atemzug, den ich nahm, roch nach ihrem unangenehmen Parfüm und nach noch etwas anderem, irgendein überreifes und möglicherweise imaginäres Aroma von Verfaultem. Ich sah ihren Augen an, dass ihr Verstand wie verrückt arbeitete, aber in ihrem Gesicht spiegelte sich weder Angst noch Trotz noch Wut, rein gar nichts.
    Bereits bei der Ankunft im Präsidium hatte sich O’Kellys Laune deutlich gebessert, und als ich ihm und Cassie in den Beobachtungsraum folgte, machte er keine Anstalten, mich wegzuschicken. »Das Mädchen erinnert mich an einen jungen Burschen, den ich in der Schule kannte«, sagte er nachdenklich, während wir warteten, dass Sam Rosalind in den Verhörraum brachte. »Haut dich nach Strich und Faden in die Pfanne, ohne mit der Wimper zu zucken, und behauptet anschließend kackfrech, es wäre alles deine Schuld. Da draußen laufen schon ein paar Irre rum.«
    Cassie lehnte sich gegen die Wand, spuckte auf ein blutbeflecktes Taschentuch und rieb wieder an ihrer Wange herum. »Sie ist nicht irre«, sagte sie. Ihre Hände zitterten noch

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