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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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nur dass auf einem Regalbrett ein ganzes Sortiment an Vitaminpräparaten stand und weiter hinten eine Großpackung Valium. Auf dem Apothekenetikett stand »Margaret Devlin«.
    Rosalind trank etwas Wasser und atmete tief, eine schmale Hand am Brustbein. »Geh mit Jess nach oben«, wies Devlin sie an.
    »Bitte, lass mich hierbleiben«, sagte Rosalind und hob das Kinn. »Katy ist meine Schwester – was auch immer ihr passiert ist, ich kann ... ich kann es mir anhören. Mir geht’s wieder besser. Tut mir leid, dass ich vorhin so ... Ich komm klar, ehrlich.«
    »Es wäre gut, wenn Rosalind und Jessica dabei sind, Mr Devlin«, sagte ich. »Möglicherweise wissen sie etwas, das uns weiterhelfen könnte.«
    »Katy und ich, wir haben uns gut verstanden«, sagte Rosalind und blickte zu mir auf. Sie hatte die Augen ihrer Mutter, groß und blau, mit den nach außen hin leicht hängenden Lidern. Ihr Blick glitt über meine Schulter hinweg. »Ach, Jessica«, sagte sie und streckte die Arme aus. »Jessica, Kleines, komm her.« Jessica schob sich an mir vorbei, sah mich kurz aus geröteten Augen an, die an ein wildes Tier erinnerten, und schmiegte sich auf dem Sofa an Rosalind.
    »Es tut mir sehr leid, dass wir Sie in einem solchen Augenblick behelligen«, sagte ich, »aber es gibt gewisse Fragen, die wir so bald wie möglich stellen müssen, um den Täter zu fassen. Fühlen Sie sich jetzt dazu in der Lage, oder sollen wir später wiederkommen?«
    Jonathan Devlin zog einen Stuhl vom Esstisch weg, knallte ihn fest auf den Boden, setzte sich und schluckte schwer. »Nein, jetzt«, sagte er. »Fragen Sie.«
    Wir gingen Schritt für Schritt vor. Sie hatten Katy zuletzt am Montagabend gesehen. Sie hatte von fünf bis sieben Ballettunterricht in Stillorgan gehabt, ein paar Meilen Richtung Zentrum von Dublin. Rosalind hatte sie um Viertel vor acht an der Bushaltestelle abgeholt und war mit ihr nach Hause gegangen. (»Sie hat gesagt, es hätte Riesenspaß gemacht«, sagte Rosalind, den Kopf über die gefalteten Hände gebeugt. Das Haar fiel ihr wie ein Vorhang übers Gesicht. »Sie war eine wunderbare Tänzerin ... Sie hatte schon einen Platz in der Royal Ballet School, wissen Sie. Sie hätte in ein paar Wochen dort angefangen ...« Margaret schluchzte, und Jonathans Hände umklammerten krampfhaft die Stuhllehnen.) Dann waren Rosalind und Jessica zu ihrer Tante Vera auf der anderen Seite der Siedlung gegangen, um bei ihren Cousinen zu übernachten.
    Katy hatte zu Abend gegessen – Baked Beans mit Toast und ein Glas Orangensaft – und hatte dann den Hund eines Nachbarn Gassi geführt. Das war ihr Ferienjob, um sich ein bisschen Geld für die Ballettschule zu verdienen. Gegen zehn vor neun war sie wieder nach Hause gekommen, hatte gebadet und anschließend mit ihren Eltern ferngesehen. Um zehn war sie ins Bett gegangen, ihre übliche Zeit im Sommer, und hatte noch ein wenig gelesen, bis Margaret ihr sagte, sie solle das Licht ausmachen. Jonathan und Margaret hatten weiter ferngesehen und waren kurz vor Mitternacht schlafen gegangen. Auf dem Weg ins Bett hatte Jonathan wie immer überprüft, ob alle Türen und Fenster verschlossen, die Kette vorgelegt war.
    Am nächsten Morgen war er um halb acht aufgestanden und zur Arbeit gefahren – er war Kassierer bei einer Bank –, ohne Katy zu sehen. Ihm war aufgefallen, dass die Kette an der Haustür nicht mehr vorgelegt war, aber er hatte vermutet, dass Katy, die Frühaufsteherin, schon zu ihrer Tante gegangen war, um dort mit ihren Schwestern und Cousinen zu frühstücken. (»Das macht sie manchmal«, sagte Rosalind. »Sie hat morgens immer richtig Hunger, und Mum ... na ja, die ist dann noch zu müde, um ein großes Frühstück zu machen.« Ein schrecklicher, herzzerreißender Laut von Margaret.) Alle drei Mädchen hatten einen Haustürschlüssel, sagte Jonathan, nur für alle Fälle. Als Margaret um 9.20 Uhr aufstand und Katy wecken wollte, war sie nicht da. Margaret wartete eine Weile, weil sie genau wie Jonathan vermutete, dass Katy schon zu ihrer Tante gegangen war. Dann rief sie Vera an, nur um Gewissheit zu haben. Dann rief sie alle Freundinnen von Katy an und schließlich bei der Polizei.
    Cassie und ich hockten unbequem auf Sessellehnen. Margaret weinte, leise, aber ununterbrochen. Nach einer Weile ging Jonathan aus dem Zimmer und kam mit einer Packung Taschentücher zurück. Eine vogelähnliche, glupschäugige kleine Frau – Tante Vera, wie ich vermutete – kam auf Zehenspitzen die

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