Grabesgrün
natürlich schwierig zu beweisen, dass etwas nicht existiert, und wenn man es ohne handfeste Beweise behauptet, ruft das nur die Verschwörungstheoretiker auf den Plan. Daher gehen wir anders vor. Wir würden ein paar Stunden darauf verwenden nachzuweisen, dass Katy Devlins Tod nicht der mutmaßlichen Vorgehensweise einer hypothetischen Gruppe entsprach (kein Blutopfer, kein Opferschmuck, keine okkulten Symbole, blablabla), und dann würde O’Kelly, der zum Glück keinerlei Sinn fürs Absurde hat, all das vor den Kameras erläutern.
»Zeitverschwendung«, sagte O’Kelly. »Aber meinetwegen, machen Sie, machen Sie. Fragt bei der Abteilung für Sexualverbrechen nach, redet mit einem Priester, egal, Hauptsache, es ist vom Tisch. Drittens?«
»Drittens«, sagte Cassie, »wäre das übliche Sexualverbrechen – ein Pädophiler hat sie umgebracht, um sie zum Schweigen zu bringen oder weil Töten ihn antörnt. Falls sich diese Annahme erhärtet, müssen wir uns wohl mit einem Fall von 1984 beschäftigen, als in Knocknaree zwei Kinder verschwunden sind. Dasselbe Alter, derselbe Ort, und direkt neben der Leiche haben wir einen Tropfen altes Blut gefunden – das Labor gleicht es noch mit den Proben von’84 ab – sowie eine Haarspange, die der Beschreibung einer Spange entspricht, die das vermisste Mädchen trug. Wir können eine Verbindung nicht ausschließen.« Das war eindeutig Cassies Text. Ich kann, wie ich schon sagte, ziemlich gut lügen, aber schon beim Zuhören wurde mein Puls schneller, und O’Kelly ist oft scharfsichtiger, als er sich anmerken lässt.
»Was, ein Seriensexmörder? Nach zwanzig Jahren? Und woher wissen Sie das mit der Haarspange eigentlich?«
»Sie haben gesagt, wir sollten uns mit ungelösten Fällen vertraut machen«, sagte Cassie brav. Das hatte er wirklich – ich denke, er hatte es auf irgendeiner Fortbildung gehört oder vielleicht in einer Folge von CSI –, aber er sagt uns so manches, und außerdem hatten wir sowieso nie Zeit dafür. »Der Mann könnte außer Landes gewesen sein oder im Gefängnis oder tötet nur, wenn er viel Stress hat –«
»Wir haben alle viel Stress«, sagte O’Kelly. »Serienkiller. Das hat uns gerade noch gefehlt. Viertens?«
»Der vierte Aspekt könnte heikel werden, Sir«, sagte Cassie. »Jonathan Devlin, der Vater, leitet in Knocknaree die Bürgerinitiative ›Verlegt die Schnellstraße‹. Anscheinend hat er einige Leute gegen sich aufgebracht. Wir müssen rausfinden, wer ein echtes Interesse daran hat, dass diese Schnellstraße durch Knocknaree gebaut wird.«
»Und das heißt, wir kriegen es mit Bauträgern und Stadträten zu tun«, sagte O’Kelly. »Ach du Schande.«
»Wir werden möglichst viele Fahnder benötigen, Sir«, sagte ich, »und ich glaube, wir brauchen noch jemanden aus unserem Dezernat.«
»Da haben Sie verdammt recht. Schnappen Sie sich Costello. Legen Sie ihm einen Zettel auf den Schreibtisch. Der ist morgens immer einer der Ersten.«
»Sir«, sagte ich, »eigentlich hätte ich gerne O’Neill.« Ich hab nichts gegen Costello, aber bei diesem Fall wollte ich ihn ganz eindeutig nicht dabeihaben. Abgesehen davon, dass er schlicht und einfach langweilig war und ich diesen Fall auch so schon deprimierend genug fand, war er zudem der penible Typ, der die alte Akte genau durchforsten und dann anfangen würde, nach Adam Ryan zu suchen.
»So einen aufsehenerregenden Fall überlasse ich nicht drei Grünschnäbeln. Sie beide haben ihn nur gekriegt, weil Sie in Ihrer Mittagspause nach Pornos surfen oder was auch immer, anstatt an die frische Luft zu gehen wie alle anderen.«
»O’Neill ist ja wohl kaum ein Grünschnabel, Sir. Er ist seit sieben Jahren im Morddezernat.«
»Und wir wissen auch alle wieso«, sagte O’Kelly gehässig. Sam war mit siebenundzwanzig ins Dezernat gekommen, und sein Onkel ist ein einigermaßen wichtiger Politiker, Redmond O’Neill, der im Justiz- oder Umweltministerium oder so einen hohen Posten bekleidet. Sam kommt ganz gut damit klar. Ob nun von Natur aus oder als Abwehrstrategie, er ist jedenfalls ein freundlicher, verlässlicher Typ, mit dem alle gern zusammenarbeiten, was die Möglichkeit zu hämischen Kommentaren deutlich einschränkt. Trotzdem kriegt er hin und wieder eine Gemeinheit ab, aber meistens ist das reiner Reflex, wie die Bemerkung von O’Kelly, und nicht böse gemeint.
»Genau deshalb brauchen wir ihn, Sir«, sagte ich. »Wenn wir unsere Nase in die Angelegenheiten des Stadtrats stecken
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