Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
Devlin.
    Ich blätterte weiter, um nachzusehen, ob einer von ihnen vernommen worden war. Durch meine Tür drangen die rhythmischen, immer gleichen Geräusche von Heather, die sich bettfertig machte: resolutes Waschen und Reinigen und Eincremen, das vom Zahnarzt vorgeschriebene dreiminütige Zähneputzen, geziertes, aber unerklärlich häufiges Naseputzen. Pünktlich auf die Minute um fünf vor elf klopfte sie an meine Tür und gurrte in einem vernehmlichen Flüstern: »Schlaf schön, Rob.« »Gute Nacht«, rief ich zurück und hängte noch ein Hüsteln an.
    Die drei Aussagen waren kurz und nahezu identisch, bis auf die Randnotizen: »sehr nervös« über Waters und »unkoperativ« (tatsächlich so falsch geschrieben) über Mills. Devlin hatte keinen Anlass zu irgendwelchen Kommentaren gegeben. Am Nachmittag des 14. August hatten sie ihr Arbeitslosengeld abgeholt und waren dann mit dem Bus nach Stillorgan ins Kino gefahren. Sie waren gegen sieben nach Knocknaree zurückgekommen – als wir schon zu spät zum Abendessen waren – und hatten dann noch bis Mitternacht auf einem Feld in Waldnähe ein paar Bierchen gekippt. Ja, sie hätten die Suchtrupps gesehen, sich aber bloß hinter einer Hecke versteckt, um nicht gesehen zu werden. Nein, ansonsten sei ihnen nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Nein, sie hätten niemanden gesehen, der ihre Aussage bestätigen könnte, aber Mills hatte angeboten, die Detectives zu dem Feld zu führen und ihnen die leeren Bierdosen zu zeigen. Vermutlich war das ironisch gemeint gewesen, aber sie nahmen ihn beim Wort. Der Junge, der in Stillorgan an der Kinokasse gesessen hatte, schien unter Drogeneinfluss zu stehen und konnte nicht sagen, ob er sich an die drei erinnerte oder nicht.
    Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Jugendlichen ernsthaft verdächtigt wurden. Sie waren weiß Gott keine abgebrühten Kriminellen (die örtliche Polizei musste ihnen regelmäßig wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit die Leviten lesen, und Shane Waters hatte mit vierzehn Jahren wegen Ladendiebstahls sechs Monate auf Bewährung bekommen, aber das war’s auch schon), und warum sollten sie zwei Zwölfjährige verschwinden lassen? Sie waren einfach bloß in der Nähe gewesen und unangenehm aufgefallen, und deshalb hatten Kiernan und McCabe sie überprüft.
    Die Biker, so hatten wir sie genannt, obwohl ich nicht mal weiß, ob sie wirklich Motorräder hatten. Wahrscheinlich kleideten sie sich bloß so. Schwarze, nietenbesetzte Lederjacken mit offenen Reißverschlüssen an den Handgelenken, Bartstoppeln und lange Haare, hohe Motorradstiefel, T-Shirts mit Aufdruck auf der Brust – Megadeth, Anthrax. Ich dachte, das wären ihre Namen, bis Peter mich aufklärte, dass das Musikgruppen waren.
    Ich hatte keine Ahnung, wer von ihnen Jonathan Devlin war. Den Mann mit den traurigen Augen, dem Bauchansatz und der schlechten Haltung konnte ich mit keinem dieser schlanken, sonnenverwischten, beängstigenden Teenager meiner Erinnerung zusammenbringen. Ich hatte bestimmt seit zwanzig Jahren nicht mehr an sie gedacht, und mir missfiel die Vorstellung, dass sie trotzdem die ganze Zeit noch irgendwo in meinem Kopf gewesen waren und nur auf ihr Stichwort gewartet hatten, um so abrupt und verstörend wie Springteufel wieder aufzutauchen, wackelnd und grinsend.
    Einer von ihnen trug das ganze Jahr über eine Sonnenbrille, selbst bei Regen. Manchmal bot er uns Kaugummis an, die wir mit ausgestrecktem Arm nahmen, obwohl wir wussten, dass er sie bei Lowry’s geklaut hatte. »Halt dich von denen fern«, sagte meine Mutter, »antworte nicht, wenn sie dich ansprechen«, aber sie erklärte mir nicht, wieso. Peter fragte Megadeth, ob wir mal an seiner Zigarette ziehen dürften, und er zeigte uns, wie man sie hielt, und lachte, als wir husten mussten. Wir standen in der Sonne, knapp außer Reichweite, und reckten uns, um einen Blick in ihre Zeitschriften zu werfen. Jamie sagte, in einer wären nackte Frauen. Megadeth und Sonnenbrille hatten Plastikfeuerzeuge und wetteiferten, wer von ihnen die Finger länger über der Flamme halten konnte. Wenn sie am Abend verschwanden, gingen wir hin und rochen an den zerdrückten Bierdosen, die sie im staubigen Gras zurückließen: säuerlich, abgestanden, erwachsen.

    Ich erwachte von einem Schrei unter meinem Fenster. Ich fuhr hoch, und das Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich hatte geträumt, irgendwas Wirres und Fiebriges, von Cassie und mir in einer Bar, wo ein Mann mit einer Tweedmütze sie

Weitere Kostenlose Bücher