Grabesgrün
Vorwand eingebaut, hypothetische Einbrecher daran zu hindern, geheime Polizeiakten zu klauen). »Wie geht’s dir?«
»Och, ganz gut«, sagte Heather und zog ihren pinkfarbenen Fleece-Morgenrock fester um sich. Der leidende Tonfall ließ mir zwei Möglichkeiten: Ich konnte »super« sagen, in mein Zimmer verschwinden und die Tür schließen, woraufhin sie schmollen und tagelang mit den Töpfen klappern würde, um ihr Unbehagen ob meiner Rücksichtslosigkeit zu verdeutlichen, oder ich konnte sagen, »Hast du was?«, woraufhin ich mir die nächste Stunde eine detaillierte Schilderung anhören würde, wie ihr Chef oder ihre Nebenhöhlen, oder was auch immer gerade aktuell war, ihr das Leben schwermachten.
Zum Glück habe ich auch noch Option C, die jedoch nur in Notfällen zum Einsatz kommt. »Ehrlich?«, fragte ich. »Bei mir auf der Arbeit grassiert nämlich eine fürchterliche Grippe, und ich glaub, ich hab sie mir eingefangen. Hoffentlich erwischt es dich nicht auch noch.«
»Oh Gott«, sagte Heather mit einer Stimme, die eine Oktave höher rutschte, und riss die Augen noch weiter auf. »Rob, mein Guter, ich will ja wirklich nicht unhöflich sein, aber wahrscheinlich bleib ich besser auf Abstand. Du weißt ja, wie leicht ich mich anstecke.«
»Das versteh ich«, sagte ich beruhigend, und Heather verschwand wieder in der Küche, wahrscheinlich um ihre fanatisch ausgewogene Kost mit Vitamin-C-Tabletten und Echinacea anzureichern. Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür.
Ich goss mir einen Drink ein – eine Wodkaflasche und eine Flasche Tonic sind immer hinter meinen Büchern versteckt, um den bei Heather beliebten »Abendtrunk« zu vermeiden – und breitete die alte Akte auf meinem Schreibtisch aus. Mein Zimmer ist nicht gerade konzentrationsförderlich. Das gesamte Gebäude hat diese billige, gewöhnliche Atmosphäre, die man in so vielen Neubauten in Dublin antrifft – Decken dreißig Zentimeter zu niedrig, die Fassade schlammfarben und auf unoriginelle Weise hässlich, Schlafzimmer beleidigend eng, als sollte die Tatsache betont werden, dass du es dir nicht leisten kannst, wählerisch zu sein – und weil der Bauträger anscheinend jede Form von Isolierung für Geldverschwendung hielt, hallt nicht nur jeder Schritt von oben oder jede Musikauswahl von unten durch unsere gesamte Wohnung, ich weiß auch weit mehr über die sexuellen Vorlieben des Pärchens nebenan, als mir lieb ist. Im Verlauf von vier Jahren habe ich mich einigermaßen dran gewöhnt, aber skandalös finde ich die Grundausstattung des Hauses nach wie vor.
Die Tinte auf den Blättern mit den Zeugenaussagen war verblasst und fleckig, an manchen Stellen kaum mehr leserlich, und ich schmeckte feinen Staub, der sich mir auf die Lippen legte. Die beiden leitenden Detectives waren inzwischen im Ruhestand, aber ich notierte mir ihre Namen – Kiernan und McCabe – für den Fall, dass wir, oder eher Cassie, sie irgendwann sprechen mussten.
Einer der aus heutiger Sicht erstaunlichsten Aspekte des Falls war, wie spät unsere Familien anfingen, sich Sorgen zu machen. Heutzutage rufen Eltern schon die Polizei an, wenn sie ihr Kind nicht auf seinem Handy erreichen. Die Vermisstenstelle ist überlastet, weil zu viele Kinder gemeldet werden, die nach der Schule nachsitzen müssen oder bei Videospielen die Zeit vergessen haben. Die Feststellung, dass die Achtzigerjahre eine unschuldigere Zeit waren, klingt naiv, doch damals klammerten sich die Menschen mit schlichter und leidenschaftlicher Sturheit an ihre Arglosigkeit, und vielleicht war sie ja nicht weniger real, weil sie bewusst gewählt war. Peters Mutter jedenfalls rief uns vom Waldrand aus, wischte sich die Hände an der Schürze sauber und überließ uns dann unseren selbstvergessenen Spielen, um wieder nach Hause zu gehen und sich um das Abendessen zu kümmern.
Ich entdeckte Jonathan Devlin in einer relativ unwichtigen Zeugenaussage. Mrs Pamela Fitzgerald, wohnhaft Knocknaree Drive 27 – der engen, schnörkeligen Schrift nach zu urteilen schon älter –, hatte den Detectives erzählt, dass eine Gruppe gefährlich aussehender Halbwüchsiger am Waldrand herumlungere, trinke und rauche und herumpoussiere und manchmal entsetzliche Schimpfworte hinter harmlosen Passanten herrufe und dass man heutzutage nicht mehr sicher auf den Straßen sei und dass die mal gehörig ein paar hinter die Löffel bräuchten. Kiernan oder McCabe hatte die Namen am Rand notiert: Cathal Mills, Shane Waters, Jonathan
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