Grabesgrün
Grübchen, blumiges Parfüm. Megadeth und Sandra sitzen in einem Baum ... »Eine könnte Sandra geheißen haben.« Etwas in mir zuckte bei dem Namen zusammen – ein bitterer Geschmack von Furcht oder Scham hinten auf der Zunge –, aber ich konnte nicht enträtseln, warum.
Sandra: rundgesichtig und drall, Kichern und enge Röcke, die hochrutschten, wenn sie auf der Mauer saß. Sie kam uns sehr erwachsen und vornehm vor; sie musste siebzehn oder achtzehn gewesen sein. Sie schenkte uns Süßigkeiten aus einer Papiertüte. Manchmal war ein anderes Mädchen dabei, große Zähne und jede Menge Ohrringe – Claire vielleicht? Ciara? Sandra zeigte Jamie mit Hilfe eines kleinen herzförmigen Spiegels, wie man sich die Wimpern tuscht. Hinterher blinzelte Jamie unentwegt, als fühlten sich ihre Augen seltsam an, schwer. »Du siehst hübsch aus«, sagte Peter. Aber Jamie konnte sich schon bald nicht mehr leiden und wusch die Panda-Ringe mit dem Saum ihres T-Shirts am Bach ab.
»Grün«, sagte Cassie leise. Ich rollte wieder einen Meter weiter.
Wir hielten vor einem Kiosk, und Cassie sprang raus, um die Zeitungen zu kaufen, weil wir wissen wollten, womit wir es zu tun hatten. Katy Devlin war überall auf der Titelseite, und jedes Blatt schien sich auf die Verbindung zur Schnellstraße zu konzentrieren. »Kindesmord in Knocknaree – Zusammenhang mit Widerstand gegen Schnellstraße?«, in dem Stil. Die füllige Boulevardreporterin hatte sich ein paar Andeutungen auf irgendwelche Druidenriten nicht verkneifen können, war aber weit davon entfernt, eine Satanismushysterie zu schüren. Offenbar wollte sie abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Ich hoffte, dass O'Kelly seine Sache gut machen würde. Gott sei Dank hatte niemand Peter und Jamie erwähnt, aber ich wusste, das war nur eine Frage der Zeit.
Wir gaben die McLoughlin-Sache (an der wir bis gestern gearbeitet hatten: zwei stinkreiche Jungs, die jemanden totgeprügelt hatten, als der sich in der Schlange am Taxistand vordrängeln wollte) an Quigley und seinen neuen Partner McCann ab und suchten uns einen eigenen SOKO-Raum. Die SOKO-Räume sind sehr karg und zu klein und stets heiß begehrt, aber wir hatten keine Probleme, einen zu ergattern: Morde an Kindern haben Priorität. Schließlich traf auch Sam ein, der ebenfalls im Stau gesteckt hatte – er hat irgendwo in Westmeath, ziemlich weit außerhalb, ein Haus, weil unsere Generation es sich nicht leisten kann, in der Stadt etwas zu kaufen –, und wir brachten ihn auf den neusten Stand, eingespielt wie immer und mit der offiziellen Haarspangenversion, während wir uns im SOKO-Raum einrichteten.
»Oh Gott«, sagte er, als wir fertig waren. »Bitte sagt mir, dass es nicht die Eltern waren.«
Jeder Detective hat eine bestimmte Sorte von Fällen, die er oder sie fast unerträglich findet und bei denen der Schutzschild aus routinierter professioneller Distanz brüchig und durchlässig wird. Cassie hat Albträume, wenn sie Vergewaltigungsfälle bearbeitet, auch wenn das niemand weiß. Ich bin völlig unoriginell und reagiere sehr emotional, wenn es um ermordete Kinder geht. Und anscheinend bekam Sam bei Mord in der Familie das Flattern. Dieser Fall könnte für uns alle drei genau das Richtige sein.
»Keine Ahnung«, sagte Cassie um die Filzstiftkappe herum, die zwischen ihren Zähnen klemmte. Sie war dabei, den zeitlichen Ablauf von Katys letztem Tag auf einer Tafel zu skizzieren. »Vielleicht sehen wir klarer, wenn wir die Obduktionsergebnisse von Cooper kriegen, aber im Moment ist einfach alles möglich.«
»Du musst dich aber nicht um die Eltern kümmern«, sagte ich, während ich Tatortfotos an die andere Seite der Tafel klebte. »Wir dachten, du übernimmst den Schnellstraßenaspekt – ermittelst, wer bei Devlin angerufen hat, findest raus, wem der Grund und Boden um das Ausgrabungsgelände herum gehört, wem was daran liegen könnte, dass die Schnellstraße so gebaut wird wie geplant.«
»Ihr meint, wegen meines Onkels, nicht?«, fragte Sam. Er hat einen Hang zur Direktheit, den ich bei einem Detective ziemlich verblüffend finde.
Cassie spuckte die Filzstiftkappe aus und drehte sich zu ihm um. »Ja«, sagte sie. »Ist das ein Problem?«
Wir wussten alle, was die Frage bedeutete. Irische Politik ist inzestuös, verworren, von Heimlichkeiten geprägt und selbst für Insider oft undurchschaubar. Von außen betrachtet, gibt es praktisch keinen Unterschied zwischen den beiden großen Parteien, die beide
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