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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Altar bei irgendwem kulturelle Altlasten geweckt. »Eine Jungfrau, die geopfert wird«, sagte ich.
    »Eine geweihte Priesterin«, sagte Cassie.
    »Nicht zu fassen«, sagte O’Kelly. »Legen die da oben es etwa drauf an, dass alle Welt denkt, irgendeine Sekte steckt dahinter? Was geht in deren Köpfen bloß vor?«

    Cassie stellte den Fall dar, wobei sie die Verbindung zu 1984 herunterspielte – ziemlich abwegig, der Sache würde sie nachgehen, wenn sie mal Zeit übrig hatte –, und wir verteilten die Aufgaben: Hausbefragungen in der Siedlung, Anforderung einer Liste von allen Sexualstraftätern in und um Knocknaree, Anfrage bei der britischen Polizei, bei Häfen und Flughäfen, ob irgendein potenziell Verdächtiger in den letzten Tagen nach Irland eingereist war, Beschaffung von Katys Patientenakte sowie ihrer schulischen Unterlagen, gründliche Überprüfung der Devlins. Die Fahnder legten sofort los, und Sam, Cassie und ich ließen sie allein, um nachzusehen, wie weit Cooper war.
    Normalerweise sind wir nicht bei Obduktionen dabei. Es muss nur jemand, der am Tatort war, bestätigen, dass es sich auch wirklich um dieselbe Leiche handelt (es ist schon vorgekommen, dass die Namensschildchen an den Zehen verwechselt wurden und der Pathologe einen verblüfften Detective anrief, um ihm mitzuteilen, die Todesursache sei Leberkrebs), aber meistens halsen wir das den Kollegen von der Streife oder Kriminaltechnik auf und gehen hinterher mit Cooper bloß den Bericht und die Fotos durch. Es ist im Dezernat Tradition, sich bei seinem ersten Mordfall die Obduktion anzusehen, und auch wenn der angebliche Zweck darin besteht, den ganzen Ernst seines neuen Arbeitsgebietes zu begreifen, lässt sich niemand was vormachen: Es ist ein Initiationsritus. Ich kenne einen ausgezeichneten Detective, der nach fünfzehn Jahren im Dezernat noch immer Speedy heißt, weil er in Windeseile aus dem Obduktionssaal rannte, als der Pathologe dem Opfer das Gehirn entnahm.
    Ich hatte meine (eine junge Prostituierte, dünne Arme voller Blutergüsse und Nadeleinstiche) ohne mit der Wimper zu zucken hinter mich gebracht, aber ich verspürte nicht den geringsten Wunsch, das Erlebnis zu wiederholen. Ich gehe nur bei den wenigen Fällen hin – und das sind leider auch die quälendsten –, die diesen kleinen Akt der Selbstaufopferung zu verlangen scheinen. Ich glaube, keiner kann seine erste Obduktion je richtig verarbeiten, die innerliche Auflehnung, wenn der Pathologe die Kopfhaut einschneidet und das Gesicht des Opfers vom Schädel ablöst, verformbar und bedeutungslos wie eine Halloween-Maske.
    Wir waren etwas zu spät: Cooper kam gerade in seiner grünen Chirurgenmontur aus dem Obduktionssaal und hielt einen wasserdichten Kittel zwischen Daumen und Zeigefinger in der ausgestreckten Hand. »Detectives«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. »Was für eine Überraschung. Hätten Sie mir doch Bescheid gegeben, wann es Ihnen genehm ist, dann hätte ich selbstverständlich gern gewartet, bis Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren.«
    Unsere Verspätung ärgerte ihn, dabei war es noch nicht mal elf Uhr, aber Cooper kommt morgens zwischen sechs und sieben zur Arbeit, geht schon um drei oder vier wieder und erwartet, dass alle das immer im Kopf haben. Seine Assistenten können ihn deshalb nicht ausstehen, aber ihn stört das nicht weiter, weil er die meisten von ihnen auch nicht ausstehen kann. Cooper ist stolz auf seine Fähigkeit zu unmittelbarer und wahlloser Antipathie. Wie wir bisher feststellen konnten, richtet sie sich auf blonde Frauen, kleine Männer, jeden mit mehr als zwei Ohrringen, Leute, die zu oft »gerne« sagen, sowie auf etliche andere, die in keine der obigen Kategorien passen. Zum Glück hatte er beschlossen, Cassie und mich zu mögen, sonst hätte er uns wieder weggeschickt, und wir hätten warten müssen, bis er uns die Obduktionsergebnisse schickte. Die sind handschriftlich – Cooper schreibt alle seine Berichte mit krakeligem Federhalter, eine Idee, die mir irgendwie gefällt, aber ich traue mich nicht, sie mal bei uns im Büro auszuprobieren. Es gibt Tage, da habe ich insgeheim Angst, ich könnte in zehn Jahren aufwachen und feststellen, dass ich mich in Cooper verwandelt habe.
    »Donnerwetter«, sagte Sam bemüht. »Schon fertig?« Cooper warf ihm einen unterkühlten Blick zu.
    »Dr. Cooper, es tut mir schrecklich leid, dass wir jetzt erst kommen«, sagte Cassie. »Superintendent O’Kelly wollte noch ein paar Dinge

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