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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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nicht mal, ob es überhaupt eine Verbindung gibt«, sagte ich ruhiger. »Und falls ja, erinnere ich mich vielleicht doch noch an irgendwas, was die Ermittlungen vorantreibt. Bitte, Cass. Lass mich nicht hängen.«
    Sie schwieg einen Moment, trank ihren Kaffee und blickte nachdenklich auf den Fernseher. »Besteht die Möglichkeit, dass irgendein ehrgeiziger Reporter vielleicht ...?«
    »Nein«, sagte ich energisch. Ich hatte, wie man sich denken kann, viel darüber nachgedacht. Selbst in der Akte waren mein neuer Name und meine neue Schule unerwähnt, und als wir umgezogen waren, hatte mein Vater der Polizei die Adresse meiner Großmutter gegeben. Sie war gestorben, als ich etwa zwanzig war, und die Familie hatte ihr Haus verkauft. »Meine Eltern stehen nicht im Telefonbuch, und meine Nummer läuft unter Heather Quinn –«
    »Und inzwischen heißt du Rob. Da dürften wir keine Schwierigkeiten kriegen.«
    Das »Wir« und der praktische, abwägende Tonfall – als wäre das bloß eine von den üblichen Komplikationen, in derselben Kategorie wie ein widerspenstiger Zeuge oder ein untergetauchter Verdächtiger – wärmten mir das Herz. »Und wenn alles ganz furchtbar schiefläuft, darfst du die Paparazzi abwehren«, versprach ich.
    »Au ja. Dann lern ich noch schnell Karate.«
    Auf der Mattscheibe war das alte Filmmaterial zu Ende, und die Blondine näherte sich dem dramatischen Finale. »Doch vorläufig können die Menschen in Knocknaree bloß warten ... und hoffen.« Die Kamera schwenkte auf den Altarstein, hielt ihn quälend lange im Bild, und dann wurde zurück ins Studio geschaltet, wo der orangegetönte Moderator anfing, die neuesten Nachrichten aus irgendeinem deprimierenden Untersuchungsausschuss zu verlesen.

    Wir brachten unsere Sachen zu Cassie und machten dann einen Spaziergang am Meer. Ich liebe Sandymount. An den seltenen sommerlichen Nachmittagen ist es dort zwar auch sehr schön, postkartenblauer Himmel, junge Frauen mit roten Schultern in knappen Tops, aber irgendwie gefällt es mir an den typischen trüben Tagen am besten, wenn der Wind einem Regentropfen ins Gesicht treibt und alles zu diffusen, puritanischen Halbtönen verwischt: grauweiße Wolken, graugrünes Meer bis zum Horizont, weite Flächen aus blassbraunem Sand, gesäumt mit zerbrochenen Muscheln, weite, abstrakte, mattsilberne Bögen, wo die Flut unregelmäßig heranrollt. Cassie trug eine salbeigrüne Kordhose und ihren großen rostbraunen Dufflecoat, und der Wind färbte ihre Nase rot. Eine dicke, ernste junge Frau mit Shorts und Baseballmütze – wahrscheinlich eine amerikanische Studentin – joggte vor uns über den Sand. Auf der Promenade schob eine minderjährige Mutter im Trainingsanzug einen Zwillingskinderwagen.
    »Und, was denkst du?«, fragte ich.
    Ich meinte natürlich den Fall, aber Cassie war in alberner Stimmung – sie entwickelt mehr Energie als die meisten Menschen, und sie hatte fast den ganzen Tag in geschlossenen Räumen verbracht. »Jetzt hör sich einer den an! Wenn eine Frau einen Mann fragt, was er denkt, ist das ein Kapitalverbrechen, dann ist sie aufdringlich und bedürftig, und er nimmt die Beine in die Hand, aber umgekehrt –«
    »Benimm dich«, sagte ich und zog ihr die Kapuze übers Gesicht.
    »Hilfe! Ich werde unterdrückt!«, schrie sie. »Holt die Gleichstellungsbeauftragte.« Die Frau mit dem Kinderwagen sah mürrisch zu uns herüber.
    »Du bist aufgedreht«, sagte ich zu Cassie. »Beruhig dich, sonst bring ich dich nach Hause, und es gibt kein Eis.«
    Sie schüttelte die Kapuze ab, lief los und fing an, Räder und Saltos zu schlagen, wobei ihr der Mantel über die Schultern rutschte. Mein erster Eindruck von Cassie war einigermaßen zutreffend gewesen: Sie hatte als Kind acht Jahre lang Kunstturnen gemacht und war offenbar ziemlich gut darin. Sie hatte aufgehört, weil sie die Wettkämpfe und das Training langweilig fand. Aber die eigentlichen Bewegungen liebte sie nach wie vor, die federnde Anspannung und gewagte Geometrie, und auch nach fünfzehn Jahren erinnerte sich ihr Körper noch an fast alles. Als ich sie einholte, war sie außer Atem und klopfte sich Sand von den Händen.
    »Besser?«, fragte ich.
    »Viel besser. Wo waren wir stehengeblieben?«
    »Fall. Arbeit. Leiche.«
    »Ach so«, sagte sie schlagartig wieder ernst. Sie zog die Jacke zurecht, und wir gingen weiter den Strand entlang.
    »Ich wüsste gern«, sagte Cassie, »wie Peter Savage und Jamie Rowan so waren.«
    Sie beobachtete eine

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