Grabesgrün
Devlins in den Computer eingegeben, dabei Rosalinds Eskapade entdeckt und angenommen, Katy hätte es ihrer großen Schwester gleichgetan, wäre nach einem Krach mit ihrem Vater zu einer Freundin geflüchtet und würde genau wie Rosalind unversehrt wieder auftauchen, sobald sie sich beruhigt hätte.
Ich muss sagen, ich war heilfroh, dass Vera Montagnacht kein Auge zugetan hatte. Auch wenn es fast zu furchtbar war, um es sich einzugestehen, hatte ich mir wegen Jessica und Rosalind so meine Gedanken gemacht. Jessica wirkte zwar nicht besonders stark, aber sie war auf jeden Fall labil, und das Klischee, dass Wahnsinn ungeahnte Kräfte verleiht, ist nicht ganz unbegründet. Außerdem musste sie Katy ganz einfach um die viele Aufmerksamkeit und Bewunderung beneidet haben. Rosalind war reizbar und fühlte sich offensichtlich als Jessicas Beschützerin, und falls Katys Erfolg dazu geführt hatte, dass Jessica sich mehr und mehr in ihre eigene Welt zurückzog ... Ich wusste, dass Cassie dasselbe gedacht hatte, aber auch sie hatte es nicht ausgesprochen, und aus irgendwelchen Gründen machte mir das zu schaffen.
»Ich will wissen, warum Rosalind von zu Hause weggelaufen ist«, sagte ich, als wir die Einfahrt zum Haus der Foleys hinuntergingen. Das mittlere Kind quetschte die Nase ans Wohnzimmerfenster und schnitt Fratzen hinter uns her.
»Und wo sie war«, sagte Cassie. »Kannst du mit ihr reden? Ich glaube, du kriegst mehr aus ihr raus als ich.«
»Heute Morgen der Telefonanruf«, sagte ich leicht verlegen, »das war sie. Sie will sich morgen Nachmittag mit mir treffen und mit mir über irgendwas reden.«
Cassie war dabei, ihr Notizbuch in die Umhängetasche zu stopfen, doch jetzt blickte sie auf und sah mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht deuten konnte. Einen Moment lang dachte ich, sie wäre beleidigt, weil Rosalind nach mir gefragt hatte und nicht nach ihr. Wir waren es beide gewohnt, dass Angehörige einen besseren Draht zu Cassie hatten, und ich spürte ganz kurz ein kindisches, beschämendes Triumphgefühl: Diesmal mag mich jemand lieber als dich, ätsch. Meine Beziehung zu Cassie hat etwas Geschwisterliches an sich, das uns meist gute Dienste tut, aber manchmal auch zu Geschwisterrivalität führt. Doch dann sagte sie: »Gut. Da kannst du sie ja ganz beiläufig fragen, warum sie von zu Hause ausgerissen ist.«
Sie hängte sich die Tasche um, und wir gingen die Straße runter. Sie blickte über die Felder, die Hände in den Taschen, und ich wusste nicht, ob sie sauer auf mich war, weil ich ihr nicht schon früher von Rosalind Devlins Anruf erzählt hatte – was ich wirklich hätte tun sollen. Ich stupste sie leicht mit dem Ellbogen an, probeweise. Nach ein paar Schritten ließ sie einen Fuß hinter sich hochschnellen und trat mir mit der Ferse in den Hintern.
Den Rest des Tages klapperten wir die Siedlung ab. Dieses Latschen von Haustür zu Haustür ist eine langweilige, undankbare Arbeit, und unsere Fahnder hatten sie schon erledigt, aber wir wollten ein Gefühl dafür kriegen, was die Nachbarn von den Devlins dachten. Allgemein hielt man sie für eine anständige Familie, die aber sehr zurückgezogen lebte, was nicht gern gesehen wurde. In einer so kleinen Gemeinde wie Knocknaree gilt jede Form von Reserviertheit als kränkend und hat den Ruch der Arroganz. Doch mit Katy verhielt sich das anders: Durch ihre Annahme an der Royal Ballet School war sie Knocknarees ganzer Stolz geworden. Selbst die offensichtlich ärmeren Familien hatten jemanden zu der Benefizveranstaltung geschickt, und allen war es ein Bedürfnis, uns von Katys Tanzkünsten vorzuschwärmen. Manche weinten. Viele Leute waren in Jonathans Bürgerinitiative für die Verlegung der Schnellstraße und bedachten uns mit gereizten und vorwurfsvollen Blicken, wenn wir Fragen nach ihm stellten. Ein paar ereiferten sich, er wolle den Fortschritt aufhalten und der Wirtschaft schaden. Die bekamen in meinen Notizen kleine Sternchen hinter ihren Namen. Die meisten waren der Meinung, dass Jessica einen kleinen Dachschaden hatte.
Wenn wir fragten, ob sie irgendetwas Verdächtiges bemerkt hatten, verwiesen sie auf die üblichen spinnerten Typen, die jeder Ort zu bieten hat – den Alten, der Mülltonnen beschimpfte, die beiden Vierzehnjährigen, denen man nachsagte, sie würden Katzen ertränken –, auf zerstrittene Nachbarn und ähnliche Belanglosigkeiten. Einige, von denen keiner irgendwelche nützlichen Informationen hatte, erwähnten den alten Fall.
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