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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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stimmt«, sagte ich wenig begeistert. Ich mag Sam – alle mögen Sam, nur Cooper nicht –, aber eigentlich war mir nicht nach anderen Menschen. »Wieso hast du ihn eingeladen?«
    »Fall?«, sagte sie zuckersüß. »Arbeit? Leiche?« Ich streckte ihr die Zunge raus, sie grinste.
    Die beiden klebrigen Kleinen in dem Kinderwagen schlugen kreischend mit grässlich buntem Spielzeug aufeinander ein. »Britney! Justin!«, brüllte die Mutter. »Haltet die Klappe, oder ihr kriegt eine geschallert!« Ich schlang einen Arm um Cassies Hals und zog sie ein Stück weit weg, ehe wir beide losprusten mussten.

    Irgendwann gewöhnte ich mich übrigens doch noch im Internat ein. Als meine Eltern mich zu Beginn des zweiten Schuljahres ablieferten (ich klammerte mich schluchzend und bettelnd am Griff der Autotür fest, während mein entnervter Klassenlehrer mich um die Taille fasste, hochhob und meine Finger einzeln aufbog), begriff ich, dass sie mich nie wieder nach Hause holen würden, egal, was ich tat oder wie sehr ich sie anflehte. Danach hörte mein Heimweh auf.
    Etwas anderes blieb mir auch kaum übrig. Mein anhaltendes Elend im ersten Jahr hatte mich an den Rand des Zusammenbruchs gebracht (das Schwindelgefühl jedes Mal, wenn ich aufstand, war mir ebenso vertraut geworden wie die Momente, wenn mir der Name eines Klassenkameraden oder der Weg zum Speisesaal nicht mehr einfiel), und selbst die Unverwüstlichkeit eines Dreizehnjährigen hat ihre Grenzen. Noch ein paar Monate länger, und ich hätte wahrscheinlich einen peinlichen Schwächeanfall erlitten. Aber ich sagte ja schon, wenn’s drauf ankommt, habe ich einen ausgezeichneten Überlebensinstinkt. In jener ersten Nacht des zweiten Schuljahres weinte ich mich in den Schlaf, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, beschloss ich, nie wieder Heimweh zu haben.
    Danach fiel es mir zu meinem eigenen Erstaunen recht leicht, mich einzugewöhnen. Binnen weniger Wochen legte ich meinen Dubliner Akzent ab, und ich freundete mich mit Charlie an, der in Erdkunde neben mir saß und ein rundliches, ernstes Gesicht und ein unwiderstehliches Lachen hatte. Später teilten wir uns ein Arbeitszimmer und unseren ersten Joint und führten lange, wirre, sehnsüchtige Gespräche über Mädchen. Meine schulischen Leistungen waren bestenfalls mittelmäßig – da ich mich mit dem Gedanken abgefunden hatte, dass die Schule ein ewig währendes, unentrinnbares Schicksal war, konnte ich mir weder ein Leben danach vorstellen, noch hätte ich sagen können, wozu ich überhaupt lernen sollte –, aber wie sich herausstellte, war ich ein ganz guter Schwimmer. Ich schaffte es in die Schulmannschaft, was mir wesentlich mehr Respekt von Lehrern und Schülern einbrachte, als es gute Noten vermocht hätten. Im fünften Jahr machten sie mich sogar zum Schulsprecher. Ebenso wie meine Versetzung ins Morddezernat schreibe ich auch das gerne der Tatsache zu, dass ich einfach so aussah, als könnte ich die Rolle spielen.
    In den Ferien war ich überwiegend bei Charlie zu Hause in Herefordshire, wo ich im alten Mercedes seines Vaters Autofahren lernte (wir holperten über Landstraßen, bei offenen Fenstern, Bon Jovi voll aufgedreht, und sangen beide aus vollem Halse und völlig falsch mit) und mich in Charlies Schwestern verliebte. Ich war gar nicht mehr so versessen darauf, nach Hause zu kommen. Das Haus in Leixlip war zugig und dunkel und roch moderig, und meine Mutter hatte meine ganzen Sachen völlig falsch in meinem neuen Zimmer eingeräumt. Ich fand es ungemütlich und provisorisch, wie eine hastig zusammengezimmerte Flüchtlingsunterkunft, nicht wie ein Zuhause. Alle anderen Kinder auf der Straße hatten verwegen aussehende Frisuren und machten sich über meinen Akzent lustig.
    Meine Eltern hatten die Veränderung an mir bemerkt, aber anstatt sich darüber zu freuen, dass ich mich in der Schule eingelebt hatte, wirkten sie irritiert und verunsichert von diesem unabhängigen Fremden, in den ich mich allmählich verwandelte. Meine Mutter schlich durchs Haus und fragte mich verschüchtert, was ich zum Abendessen haben wollte. Mein Vater versuchte, mit mir Gespräche von Mann zu Mann zu führen, die stets nach häufigem Räuspern und Zeitungsrascheln an meinem gelangweilten passiven Schweigen scheiterten. Rational war mir klar, dass sie mich aufs Internat geschickt hatten, um mich vor den aufdringlichen Journalistenhorden und nutzlosen Polizeivernehmungen und neugierigen Klassenkameraden zu schützen, und ich

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