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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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sechzehnjährigen Schülerin Kirstin L. zu ermitteln. Der die Untersuchung leitende Kriminalkommissar, Arno Corte, gab heute Morgen in einer Pressekonferenz bekannt, dass es sich bei dem Täter um den einundfünfzigjährigen Hannes L. handelt. Der ohne festen Wohnsitz, der Polizei bekannte Stadtstreicher hat in einem Abschiedsbrief seine Tat gestanden. Man fand seine Leiche in der Gartenkolonie ›Frühauf‹. In einer leer stehenden Laube, die ihm den Sommer über als Unterschlupf diente und sich unweit des Tatorts befand, hat er sich in der vergangenen Nacht erhängt. Über die Hintergründe dieses Verbrechens liegen zurzeit noch keine Erkenntnisse vor.
    Nachdenklich faltete Henning Lüders den Artikel zusammen und steckte ihn ein. Im Moment konnte er noch nicht sagen, ob der Zeitungsartikel von Wichtigkeit war. Er rückte den Schreibtisch an seinen alten Platz zurück und ging nach unten.

7
    Es hatte ihn lediglich einen Blick ins Telefonbuch gekostet, um die Adresse von Arno Corte in Erfahrung zu bringen. Glücklicherweise wohnte dieser nur ein paar Straßen von den Birkners entfernt. Ralph hatte sich nicht blicken lassen, als er die Treppe herunterkam. Kurzerhand entschied sich Henning dafür die paar Meter zu Fuß zu gehen. Er ließ seinen Wagen vorm Grundstück der Birkners stehen und ging in Richtung der angegebenen Adresse.

    Henning wurde in Kremkau, einer kleinen Gemeinde in der Altmark geboren. Obwohl er die letzten Kriegsjahre als Kleinkind miterlebte, konnte er sich kaum noch an diese furchtbare Zeit, eine Zeit des Schreckens der Entbehrung und des Hungers, erinnern. Seine Eltern besaßen eine kleine Gemischtwarenhandlung auf dem Lande. Noch vor dem Bau der Berliner Mauer machten sie sich auf den Weg nach Westen zu einem Cousin seines Vaters. Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr war das Rheinland sein zweites zu Hause. Dort lernte er auch Rüdiger kennen. Nach Armeezeit und Studium verbrachte er die folgenden Jahre vorwiegend im Hamburger Raum. Es war die erfüllteste Zeit seines Lebens. Auf einem Hafenfest lernte er Anouschka, seine spätere Frau kennen. Sie hatten eine glückliche Ehe geführt. Mit Anouschka wollte er alt werden. Doch das Schicksal hatte andere Pläne. Eine tückische, unheilbare Krankheit nahm sie ihm viel zu früh. Womit er sich in der Folgezeit auch befasste, die Erinnerung an seine Frau verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Irgendwann wurde ihm klar, dass er sein altes Leben hinter sich lassen musste, wenn er neu beginnen wollte. Schweren Herzens verließ er Hamburg. Einem Stellenangebot folgend, hatte es ihn danach in die südliche Gegend Deutschlands verschlagen. Er sah es als Herausforderung an, sein Wissen nach der Wende in einem der neuen Bundesländer, in seinem Fall Sachsen, beim Aufbau demokratischer Rechtsstrukturen einbringen zu dürfen. Das Polizeirevier, in dem er die letzten zehn Jahre gearbeitet hatte, befand sich in der Kreisstadt Auerbach. Eigentlich, so überlegte er, müsste der Name Arno Corte ihm von daher bekannt sein. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, je von ihm oder dem im Artikel erwähnten Mord gehört zu haben. Muss wohl schon eine ganze Weile her sein, sinnierte er. Höchstwahrscheinlich war Corte schon hoch betagt.
    Die Sonne schien warm auf ihn herab, und er genoss den kurzen Spaziergang.
    Das Haus, in dem Arno Corte wohnte, war ein mehrgeschossiges Mietshaus. Es befand sich unweit des Rathauses in unmittelbarer Nähe des Zentrums. Die Fassade war erst kürzlich durch einen freundlichen orangegelben Anstrich erneuert worden. Neben der Tür befanden sich sechs Klingelschilder. Arno Cortes Name, auf einem ovalen Emailleschild eingraviert, stand zuoberst. Henning wollte gerade den Klingelknopf drücken, als eine junge Frau mit einem Kleinkind an der Hand aus dem Haus trat. Bevor die Tür wieder zuschlug, hatte Henning seinen Fuß dazwischen bekommen. Kurz darauf stand er vor Arno Cortes Wohnung. Er konnte hören, dass der Fernseher lief. Entschlossen drückte er auf die Klingel. Schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Wenig später sah Henning sich einem dickleibigen, ein wenig verwahrlost wirkenden Mann gegenüberstehen, in dessen rechtem Mundwinkel eine Zigarette hing.
    „Arno Corte?“ fragte er, um sich zu vergewissern, dass er hier auch richtig war. Sein Gegenüber nickte und musterte ihn aus wässrigen hellblauen Augen.
    „Mein Name ist Lüders, Henning Lüders. Wie Sie war auch ich bis vor kurzem Kriminalkommissar, wir sind sozusagen

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