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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Haus seiner Mutter der ganze Kamin abgetragen werden musste, um ihn zu befreien. Oder der Onkel, der eine Silvesterfeier mit selbst gebastelten Feuerwerkskörpern aufpeppen wollte und drei Finger weniger hatte, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
    Aber es gab auch die Geschichten von stiller Würde wie die von der Großtante, die als Nonne nach Afrika gegangen war. Oder von der anderen Großtante, die während des Krieges in Italien unter großen Mühen acht Kinder durchgebracht hatte. Diese Frauen konnte man auch als Heldinnen bezeichnen, nur eben von der stilleren Sorte. Echte Frauen, die allen Widrigkeiten getrotzt hatten, so ganz anders als Iris Fangs legendäre Vorfahrin, die mit zwei Säbeln gekämpft und Soldaten in die Schlacht geführt hatte. Das klang eher nach einer Legende, nicht wahrer als die Geschichten von Sun Wukong, dem Affenkönig, der die Unschuldigen beschützte und gegen Dämonen und Flussungeheuer kämpfte. Iris lebte in genau so einer Märchenwelt, in der eine einsame Witwe sich als Schwertkämpferin sehen konnte, mit dem Blut alter Kriegergeschlechter in ihren Adern. Und wer konnte es ihr zum Vorwurf machen, wenn sie sich solchen Fantasien hingab? Iris war unheilbar an Leukämie erkrankt. Sie hatte ihren Mann und ihre Tochter verloren. Wenn sie allein in ihrer tristen Wohnung mit den alten, abgenutzten Möbeln saß, träumte sie dann von Schlachtfeldern und Ruhm? Würde ich das nicht auch tun?
    Als sie an einer roten Ampel hielt, klingelte ihr Handy. Sie ging dran, ohne die Nummer auf dem Display zu lesen, und wurde von einer wütenden Stimme begrüßt, die ihr ins Ohr blaffte.
    »Was soll der Scheiß, Jane? Warum hast du mir nichts gesagt?«, schimpfte ihr Bruder Frankie. »Das können wir ihr nicht durchgehen lassen!«
    Sie seufzte. »Ich nehme an, es geht um Moms Verlobung?«
    »Ich musste es erst von Mike hören.«
    »Ich wollte dich anrufen, aber ich hatte ziemlich viel um die Ohren.«
    »Sie kann diesen Typen nicht heiraten. Du musst das verhindern.«
    »Willst du mir vielleicht verraten, wie ich das anstellen soll?«
    »Sie ist immer noch verheiratet, verdammt noch mal!«
    »Ja, mit einem Mann, der sie wegen so einer Tussi verlassen hat.«
    »Red nicht so über Dad!«
    »Aber es stimmt doch.«
    »Das ist nichts von Dauer. Dad kommt schon wieder nach Hause, wirst schon sehen. Er muss sich nur erst noch ein bisschen austoben.«
    »Erzähl das mal Ma. Dann kannst du selber hören, was sie davon hält.«
    »Scheiße, Mann, Jane, ich kann’s nicht glauben, dass du das zulässt! Es geht hier um die Familie Rizzoli. Familien müssen zusammenhalten. Und was wissen wir denn überhaupt über diesen Korsak?«
    »Ach, komm schon. Wir wissen beide, dass er in Ordnung ist.«
    »Was heißt das denn – ›er ist in Ordnung ‹?«
    »Er ist ein anständiger Mensch. Und ein guter Polizist.« Sie brach ab, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie hier einen Mann verteidigte, der nun wirklich nie ihr Traum-Stiefvater gewesen war. Und doch stimmte alles, was sie über Korsak gesagt hatte. Er war ein anständiger Mensch. Er war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte. Da konnte man es als Frau weitaus schlechter treffen.
    »Und du hast kein Problem damit, dass er Ma vögelt?«, fragte Frankie.
    »Du hast ja auch kein Problem damit, dass er die Tussi vögelt.«
    »Das ist was anderes. Er ist schließlich ein Mann.«
    Jetzt war sie aber wirklich sauer. »Und Mom darf vielleicht nicht vögeln oder wie?«, gab sie zurück.
    »Sie ist unsere Mutter .«
    Die Ampel sprang auf Grün. Während sie über die Kreuzung fuhr, sagte sie: »Ma ist noch nicht tot, Frankie. Sie sieht gut aus, sie ist lebenslustig, und sie hat es verdient, noch einmal Glück in der Liebe zu haben. Anstatt sie deswegen blöd anzumachen, solltest du lieber mal mit Dad reden. Er ist schuld daran, dass sie überhaupt etwas mit Korsak angefangen hat.«
    »Ja, ich rede mit ihm. Es wird langsam Zeit, dass er wieder die Kontrolle übernimmt.« Frankie legte auf.
    Er und Kontrolle? Wir hätten diese Situation ja gar nicht, wenn Dad sich besser unter Kontrolle gehabt hätte.
    Sie warf das Handy auf den Beifahrersitz, während sie mit Sorge daran dachte, wie ihr Vater auf die Neuigkeit reagieren würde. Und es machte sie wütend, dass sie sich jetzt auch noch über diese Geschichte Gedanken machen musste, wo sie doch schon mit einem Dutzend anderer Probleme jonglieren musste.
    Das Telefon klingelte erneut.
    Abrupt hielt sie am

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