Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
nehmen Ihre Jungs mit. Ich mach’s mir derweil hier bequem und warte, bis Sie zurück sind.« Sie schnappte sich einen Stuhl, setzte sich und schaltete die Taschenlampe aus.
    Eine Weile war es vollkommen still in dem dunklen Gebäude. Das einzige Geräusch war Donohues panisches Schnaufen.
    »Also gut«, sagte er schließlich. »Nehmen Sie Colin mit. Aber Sean bleibt hier.«
    Sie hatte keine Ahnung, ob sie Colin trauen konnte; sie hoffte nur, dass er noch genug funktionierende graue Zellen hatte, um ihr nicht aus Versehen in den Rücken zu schießen. An der Tür hielt sie inne und lauschte auf Geräusche dahinter, doch der Raum war zu gut isoliert. Kugelsicher und explosionssicher, hatte Donohue gesagt.
    Sie schob den Riegel zurück und zog die Tür einen Spaltbreit auf. Außerhalb des Büros war die Dunkelheit nicht so absolut; durch ein hohes Fenster drang schwach der Lichtschein der Stadt in die Lagerhalle, gerade so viel, dass Jane die Reihen aufgehängter Rinderhälften ausmachen konnte wie eine Formation schattenhafter Krieger. Alles Mögliche konnte in diesem Halbdunkel lauern, getarnt inmitten dieser Silhouetten aus totem Fleisch.
    Jane schaltete ihre Taschenlampe ein und schwenkte sie rasch im Halbkreis, registrierte die hängenden Kadaver, den Betonboden, den Nebel ihres eigenen Atems. Sie spürte, dass Colin direkt hinter ihr stand, hörte sein nervöses, zittriges Schnaufen. Ein bewaffneter, vor Angst schlotternder Mann war nicht die Art von Verstärkung, die ihr vorgeschwebt hatte. Wenn ich Pech habe, bleibe ich mit einer Kugel im Rückgrat auf der Strecke, dachte sie. Falls dieses Wesen mir nicht vorher den Kopf abhaut.
    »Wo ist der nächste Ausgang?«, flüsterte sie.
    »Geradeaus. Am anderen Ende des Gebäudes.«
    Sie schluckte krampfhaft und begann, die Reihe von Kadavern entlangzugehen. Dabei schwenkte sie die Lampe hin und her, suchte die Umgebung nach plötzlichen Bewegungen ab, immer darauf gefasst, irgendwo ein Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen zu sehen, ein Blitzen von Stahl. Doch sie sah nur die Produkte des Schlachthauses, das lebende Wesen in eine Masse Fleisch und Knochen an einem Haken verwandelte. Die Taschenlampe fühlte sich glitschig an in ihrer zitternden Hand. Wer oder was du auch sein magst, dachte sie, du hast mich schon einmal verschont. Aber das bedeutete nicht, dass das Wesen ihr diesen Gefallen ein zweites Mal erweisen würde; nicht, wenn es sah, in welcher Gesellschaft sie sich befand.
    Vor ihnen tauchten noch mehr Kadaver aus der Dunkelheit auf. Sie leuchtete geradeaus, konnte aber das Ende der Reihe nicht sehen. Dann blieb sie abrupt stehen, lauschte angestrengt, während das Hämmern ihres eigenen Herzens alles zu übertönen drohte.
    »Was ist?«, flüsterte Colin.
    »Hören Sie das?«
    Es war nur ein leises Knarren; ein Geräusch, wie ein Baum es macht, wenn seine Äste im auffrischenden Wind schwanken. Doch das Knarren steigerte sich zu einem rhythmischen Ächzen, als ob es diesen Baum mit zunehmender Gewalt rüttelte und verbog. Es kommt von oben. Jane hob ihre Lampe zur Decke und sah eine aufgehängte Rinderhälfte hin und her schwingen, wie von einer unsichtbaren Hand angestoßen.
    Wieder hörten sie ein Knarren, diesmal zu ihrer Linken. »Da!«, rief Colin. Jane schwenkte ihre Lampe in die Richtung des Geräuschs – und sah sich einem zweiten baumelnden Kadaver gegenüber, der wie ein riesiges Pendel den schmalen Lichtstrahl ihrer Taschenlampe durchschnitt.
    »Hinter uns!«, rief Colin, dessen Stimme jetzt schrill vor Panik war. »Nein, da drüben!«
    Jane fuhr herum, und im Schein der Lampe sah sie überall Bewegung, während die Dunkelheit von einer Kakofonie aus Klirren, Ächzen und metallischem Kreischen erfüllt wurde.
    »Scheiße, wo ist es?«, schrie Colin, während er neben ihr herumwirbelte, wild mit seiner Waffe fuchtelte und auf die schwankenden Rinderhälften ringsum zu zielen versuchte. Er schoss, und irgendwo in der Dunkelheit ertönte ein metallisches Ping. Noch einmal drückte er ab, und die Kugel schlug in kaltes Fleisch ein.
    »Hören Sie auf damit, sonst bringen Sie uns noch beide um!«, schrie Jane.
    Er stellte das Feuer ein, doch seine Hand zuckte immer noch nervös hin und her, während er nach einem Ziel Ausschau hielt. Zweifellos glaubte er wie sie selbst auch, überall im Halbdunkel die Kreatur zu sehen. Dort drüben – war das ein Gesicht, das da aus dem Dunkel auftauchte, das Glänzen eines Auges? Wie war es möglich, dass irgendein

Weitere Kostenlose Bücher