Grabesstille
hinteren Teil des Gebäudes, wo ihr Begleiter an die Tür klopfte.
Sofort wurde ihnen geöffnet, und Jane erkannte den zweiten Leibwächter, der sie hereinwinkte. Kaum hatte sie den fensterlosen Raum betreten, als die Tür mit einem satten Klacken hinter ihr ins Schloss fiel. Sie war gefangen in einer Festung inmitten eines Kühlhauses, bewacht von bewaffneten Gangstern, und doch machte die Situation sie anscheinend weniger nervös als ihren Gastgeber. Das war nun einmal das Schicksal eines irischen Mafiabosses – ständig plagten ihn Angst und Verfolgungswahn. Macht zu besitzen, das bedeutete auch, in ständiger Furcht vor dem Moment zu leben, da man sie einbüßen würde.
Kevin Donohue wirkte noch aufgedunsener als das letzte Mal, wie er da hinter seinem Schreibtisch saß, die Wurstfinger auf einen verschließbaren Plastikbeutel mit der jüngsten Botschaft gelegt. Er hielt den Beutel hoch. »Bedauerlicherweise«, sagte er, »haben meine Intelligenzbestien von Mitarbeitern den Wisch über und über mit ihren Fingerabdrücken verziert, ehe sie ihn mir übergeben haben.«
»Auf diesen Briefen sind nie irgendwelche Fingerabdrücke«, erwiderte sie, während sie den Beutel entgegennahm. »Dazu ist die Person, die sie schickt, viel zu vorsichtig.« Sie betrachtete die fotokopierte Seite. Sie war identisch mit der Todesanzeige für Joey Gilmore, wie sie vor neunzehn Jahren im Boston Globe erschienen war. Dann drehte sie das Blatt um und las die handgeschriebene Botschaft: Dich wird es auch noch erwischen.
Sie sah Donohue an. »Was glauben Sie, was mit › es ‹ gemeint ist?«
»Sind Sie schwer von Begriff? Es ist natürlich dieses Wesen, das mit einem Schwert in der Stadt herumläuft und einen auf Selbstjustiz macht.«
»Warum sollte dieses Wesen hinter Ihnen her sein? Haben Sie sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht?«
»Ich muss ja wohl nichts verbrochen haben, um zu merken, wenn ich bedroht werde. So was passiert mir schließlich öfter.«
»Ich wusste ja gar nicht, dass der Handel mit erlesenen Fleischwaren so ein gefährliches Geschäft ist.«
Er starrte sie mit seinen wasserhellen Augen an. »Sie sind ein viel zu kluges Mädel, um sich so dumm zu stellen.«
»Aber nicht klug genug, um erraten zu können, was Sie eigentlich von mir wollen, Mr. Donohue.«
»Das habe ich Ihnen doch am Telefon schon gesagt. Ich will, dass diese Scheiße aufhört, ehe noch mehr Blut vergossen wird.«
»Sie meinen wohl Ihr eigenes Blut.« Jane sah die beiden Männer an, die links und rechts von ihm standen. »Mir scheint doch, dass Sie schon ausreichend geschützt sind.«
»Nicht gegen dieses – dieses Ding . Was immer es ist.«
»Ding?«
Donohue beugte sich ruckartig vor, sein Gesicht vor Anspannung rot angelaufen. »In der Stadt geht das Gerücht um, dass es diese zwei Profikiller wie Frühstücksfleisch zerhackt hat. Und dann ist es spurlos verschwunden.«
»Waren das Ihre Profikiller?«
»Das habe ich Ihnen doch letztes Mal schon gesagt. Nein, ich habe sie nicht angeheuert.«
»Irgendeine Ahnung, für wen sie gearbeitet haben?«
»Wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen sagen. Ich habe meine Fühler ausgestreckt, und wie ich höre, ist das Kopfgeld auf diesen Bullen schon vor Wochen ausgesetzt worden.«
»Für den Mord an Detective Ingersoll?«
Donohues Dreifachkinn wackelte, als er nickte. »Sobald die Nachricht von diesem Auftrag die Runde machte, war er ein toter Mann. Muss irgendwen verdammt nervös gemacht haben.«
»Ingersoll war im Ruhestand.«
»Aber er hat eine Menge Fragen gestellt.«
»Über Mädchen, Mr. Donohue. Mädchen, die verschwunden sind.« Jane sah ihm direkt in die Augen. »Also, das ist doch ein Thema, das Sie nervös machen müsste.«
»Mich?« Er lehnte sich zurück, wobei der Stuhl unter seinem gewaltigen Gewicht laut ächzte. »Keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Prostitution? Handel mit minderjährigen Mädchen?«
»Beweisen Sie es.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Hmm, wenn ich’s mir so überlege, sollte ich vielleicht einfach dieses Affenwesen sein Ding durchziehen lassen.«
»Es ist hinter dem Falschen her! Ich hatte mit dem Red Phoenix nichts zu tun! Klar, Joey war ein falscher Fuffziger. Ich hab keine Tränen vergossen, als er abgeknallt wurde, aber ich hab’s nicht angeordnet.«
Sie sah auf Joeys Todesanzeige hinunter. »Irgendjemand ist aber dieser Meinung.«
»Es ist diese verrückte Lady in Chinatown. Hundertprozentig steckt die dahinter.«
»Sie meinen Mrs.
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