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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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altes Leder. Nach und nach kamen andere Wahrnehmungen hinzu: das Kribbeln in ihrem linken Arm, der zu lange in der gleichen Stellung gelegen hatte; die kalte, raue Fläche, auf der ihre Wange ruhte; und die Stimme, die ihren Namen rief, drängend und hartnäckig. Eine Frauenstimme, die sie nicht schlafen ließ, die unermüdlich auf sie einredete und sie so aus der Bewusstlosigkeit zurückholte.
    »Wachen Sie auf! Sie müssen aufwachen!«
    Jane schlug die Augen auf – oder glaubte sie aufzuschlagen. Die Dunkelheit, die sie umfing, war so vollkommen, dass sie sich fragte, ob sie in jenem Schattenreich zwischen Schlafen und Wachen gefangen war, in dem man zwar bei Bewusstsein ist, aber kein Glied regen kann. Oder gab es noch einen anderen Grund, warum sie sich nicht bewegen konnte? Sie versuchte, sich auf den Rücken zu rollen, und stellte fest, dass sie an Händen und Füßen gefesselt war. Als sie ihre Handgelenke zu befreien suchte, spürte sie den unnachgiebigen Widerstand von Isolierband. Der Boden unter ihrem Gesicht war aus Beton, der sie schmerzhaft an der Hüfte drückte und dessen Kälte ihr in die Kleider kroch. Sie wusste nicht, wie sie in dieses kalte, dunkle Loch geraten war. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie in Patricks Esszimmer gesessen und in Charlottes Jahrbüchern geblättert hatte. Und dazu Kaffee getrunken hatte. Kaffee, den er mir serviert hat.
    »Detective Rizzoli! Bitte , wachen Sie auf!«
    Jane erkannte Iris Fangs Stimme und drehte den Kopf in die Richtung, aus der sie kam. »Wie … Wo …«
    »Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich bin hier drüben an der Wand festgekettet. Wir sind in einem Keller, glaube ich. Vielleicht in seinem Haus. Ich weiß es nicht, weil ich mich nicht erinnern kann, wie ich hierhergekommen bin.«
    »Das weiß ich auch nicht mehr«, stöhnte Jane.
    »Es ist schon Stunden her, dass er Sie gebracht hat. Wir haben nicht viel Zeit. Er wartet nur noch, bis der andere zurückkommt.«
    Der andere . Jane mühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, während der Nebel in ihrem Kopf sich allmählich verzog. Natürlich arbeitete Patrick nicht allein. Mit seinen siebenundsechzig Jahren brauchte er jemanden, der ihm die Schwerarbeit abnahm. Deswegen hatte er Profis angeheuert, um Ingersoll zu beseitigen und Iris zu überfallen.
    »Wir müssen vorbereitet sein«, sagte Iris. »Ehe sie zurückkommen.«
    »Vorbereitet?« Jane konnte sich ein verzweifeltes Lachen nicht verkneifen. »Ich kann meine Arme und Beine nicht bewegen. Ich kann nicht einmal meine Hände spüren!«
    »Aber Sie können sich zur Wand rollen. Da hängen Schlüssel in der Nähe der Tür. Das habe ich gesehen, als er das Licht eingeschaltet und Sie heruntergebracht hat. Vielleicht können wir damit meine Handschellen aufschließen. Sie befreien mich, und dann befreie ich Sie.«
    »In welcher Richtung ist die Tür?«
    »Rechts von mir. Orientieren Sie sich an meiner Stimme. Die Schlüssel hängen an einem Haken. Wenn es Ihnen gelingt, sich aufrecht hinzustellen, und wenn Sie sie dann mit den Zähnen zu fassen bekommen …«
    »Das sind verdammt viele Wenns.«
    » Tun Sie es! « Der Befehl durchschnitt die Dunkelheit, scharf wie eine Klinge. Doch ihre nächsten Worte waren leise und stockend. »Er hat mir meine Tochter genommen«, hauchte sie, von Schluchzern unterbrochen. »Er ist es gewesen.«
    Jane hörte Iris im Dunkeln weinen, und sie dachte an die anderen Mädchen, die verschwunden waren. Deborah Schiffer, Patty Boles, Sherry Tanaka. Wie viele andere gab es noch, Mädchen, deren Namen sie noch nicht kannten? Sogar seine eigene Tochter, Charlotte.
    Sie kämpfte gegen ihre Fesseln an, doch das Isolierband war unverwüstlich – das Lieblingswerkzeug von MacGyver wie auch von Serienmördern. Sosehr sie auch zerrte und sich verrenkte, es würde ihr nicht gelingen, diese Streifen an ihren Handgelenken zu zerreißen.
    »Lassen Sie ihn nicht gewinnen«, sagte Iris. Ihre Stimme klang wieder fester, hatte wieder die alte Schärfe.
    »Ich will auch nicht, dass er entkommt«, sagte Jane.
    »Die Schlüssel. Sie müssen irgendwie an die Schlüssel herankommen.«
    Aber Jane wälzte sich bereits unter Verrenkungen über den Boden. Ihre wunde Hüfte schrappte über den Betonboden, und sie biss die Zähne zusammen, atmete tief durch, bis der Schmerz nachließ. Dann drehte sie sich wieder, kullerte ein Stück weiter über den Boden. Diesmal landete ihr Gesicht auf dem Beton, der ihr die Nase aufkratzte und an dem

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