Grabesstille
hatte.«
»Der Privatdetektiv hat also auch nichts erreicht?«
»Null. Das Mädchen ist einfach spurlos verschwunden. Keine Zeugen, keine Spuren, bis auf ihren Rucksack, der auf der Straße lag. Vor neunzehn Jahren hatten wir bei Weitem noch nicht so viele Überwachungskameras, die alles festgehalten haben. Wer immer sie gekidnappt hat, muss sehr schnell und sauber gearbeitet haben. Und es muss eine spontane Aktion gewesen sein.«
»Wie kommen Sie zu dem Schluss?«
»Es war ein Schulausflug. Sie ging auf so ein Nobelinternat, die Bolton Academy, draußen hinter Framingham. Dreißig Schüler waren mit einem Privatbus in die Stadt gekommen, um den Freedom Trail abzugehen. Der Zwischenstopp an der Faneuil Hall war gar nicht eingeplant. Die Lehrerin sagte mir, die Schüler hätten plötzlich Hunger bekommen, also seien sie dorthin etwas essen gegangen. Ich schätze, der Täter hat Charlotte gesehen und ganz einfach zugegriffen.« Er schüttelte den Kopf. »Da hatte er wirklich einen Fang gemacht. Patrick Dion arbeitet bei einer Beteiligungsgesellschaft; er war gerade in London, als es passierte. Ist dann mit seinem Privatjet nach Hause geflogen. Angesichts seiner Position und seines Vermögens war ich sicher, dass es eine Lösegeldforderung geben würde. Aber die ist nie gekommen. Charlotte blieb wie vom Erdboden verschluckt. Keine Spuren, keine Leiche. Nichts.«
»Ihre Mutter war nur einen Monat zuvor im Red-Phoenix-Restaurant ermordet worden.«
»Ja, ich weiß. Wirklich ganz übel vom Pech verfolgt, die Familie.« Er nippte an seinem Scotch. »Gegen den Tod ist eben alles Geld der Welt machtlos.«
»Sie glauben, dass es nicht mehr war als das? Einfach nur Pech?«
»Darüber habe ich mit Lou Ingersoll immer wieder gesprochen. Wir haben einfach keinen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen finden können, aus welchem Winkel wir es auch betrachtet haben. Ein Sorgerechtsstreit um Charlotte? Eine schmutzige Scheidung? Geld?«
»Nichts?«
Buckholz schüttelte den Kopf. »Ich habe selbst eine Scheidung hinter mir, und ich hasse die blöde Kuh immer noch. Aber Patrick Dion und seine Exfrau sind tatsächlich Freunde geblieben. Er hat sich sogar mit ihrem neuen Mann verstanden.«
»Obwohl Arthur Patrick die Frau weggenommen hat?«
Er lachte. »Genau – können Sie sich das vorstellen? Da sind diese zwei glücklichen Familien: Patrick, Dina und Charlotte; Arthur, Barbara und ihr Sohn Mark. Beide Kinder gehen auf die piekfeine Bolton Academy, so haben die beiden Familien sich kennengelernt. Sie gehen gelegentlich zusammen essen. Dann fängt Arthur was mit Patricks Frau an, und beide Paare lassen sich scheiden. Arthur heiratet Dina, Patrick bekommt das Sorgerecht für die zwölfjährige Charlotte, und sie bleiben alle weiterhin befreundet. Das ist doch unnatürlich, wenn Sie mich fragen.« Er stellte sein Glas ab. »Normal wäre gewesen, wenn sie sich alle gehasst hätten.«
»Und Sie sind sicher, dass sie das nicht getan haben?«
»Ich kann mir vorstellen, dass sie es vielleicht nur gut verborgen haben. Schon möglich, dass Patrick Dion fünf Jahre nach der Scheidung seiner Exfrau und ihrem Mann zu diesem Restaurant gefolgt ist und sie in einem Anfall von Raserei erschossen hat. Aber Mark Mallory hat damals geschworen, sie hätten sich alle gut verstanden. Und er hat schließlich bei derselben Schießerei seinen eigenen Vater verloren.«
»Und Marks Mutter? Fand sie es auch völlig in Ordnung, ihren Mann an eine andere Frau zu verlieren?«
»Ich bekam nie die Gelegenheit, mit Barbara Mallory zu sprechen. Ein Jahr nach der Schießerei erlitt sie einen Schlaganfall. An dem Tag, als Charlotte verschwand, lag sie in der Reha-Klinik. Sie starb einen Monat später. Noch so eine vom Pech verfolgte Familie.« Er winkte dem Barkeeper. »He, ich brauch hier Nachschub!«
»Äh, sind Sie mit dem Auto hier, Hank?«, fragte Jane mit einem kritischen Blick auf sein leeres Glas.
»Ist schon okay, das ist mein letzter, versprochen.«
Der Barkeeper stellte ihm noch einen Scotch auf den Tresen, und Buckholz starrte den Drink nur an, als genügte es ihm vorläufig, ihn in Reichweite zu wissen. »Das ist also die Geschichte in aller Kürze«, sagte er. »Charlotte Dion war siebzehn, blond und verdammt hübsch. Wenn sie nicht auf dem Internat war, wohnte sie bei ihrem reichen Papa. Die ganze Welt stand ihr offen, und dann – zack . Sie wird auf der Straße entführt. Und wir haben bloß ihre Leiche noch nicht gefunden.« Er
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