Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
Sie nicht die Wahrheit wissen? «
    »Haben Sie diese Briefe noch?«
    »Ja, und Mary hat ihre auch. Aber Mark war so wütend, dass er seine weggeworfen hat.«
    »Wer schickt diese Briefe? Wissen Sie das?«
    »Ich muss annehmen, dass sie von derselben Person kommen, die die Anzeige im Globe geschaltet hat. Diese Iris Fang.«
    »Warum sollte Mrs. Fang so etwas tun?«
    Es war lange still. »Ich möchte ungern schlecht über Mrs. Fang reden. Sie hat ihren Mann verloren, ich weiß also, dass sie auch gelitten hat. Sie tut mir leid. Aber für mich ist die Sache vollkommen klar.«
    »Was ist klar?«
    »Diese Frau«, sagte Patrick, »ist verrückt.«

12
    Als die Türglocke ertönte, hatte Maura den Tisch bereits gedeckt, und im Ofen schmorte eine Lammkeule. Heranwachsende Jungs waren bekannt für ihren unersättlichen Appetit, also hatte sie einen Blaubeer- und einen Apfelkuchen besorgt, vier Ofenkartoffeln gebacken und ein halbes Dutzend Maiskolben geschält. Ob der Junge Salat aß? Sie wusste es nicht. In jenen schrecklichen Tagen, als sie und Rat vom Hunger gequält durch die Wildnis von Wyoming geirrt waren, hatten sie von dem gelebt, was sie gerade finden konnten. Sie hatte ihn Hundekuchen hinunterschlingen sehen, Dosenbohnen und sogar Baumrinde. Einen Kopfsalat würde er doch sicher nicht verschmähen, und die Vitamine könnte er wahrscheinlich gut gebrauchen. Als sie ihn im Januar zuletzt gesehen hatte, war er blass und dünn gewesen, und es war dieser unterernährte Junge, für den sie heute Abend kochte. Ganz gleich, wie die Woche verläuft, dachte sie, er wird mein Haus jedenfalls nicht hungrig verlassen. Das war der eine Punkt, in dem sie sich vorbereiten konnte, die eine Variable, die ihrer Kontrolle unterlag.
    Denn alles andere an seinem ersten Besuch bei ihr zu Hause war mit Unwägbarkeiten befrachtet.
    Sie verdankte Julian Perkins, genannt »Rat«, ihr Leben, und doch kannte sie ihn kaum, ebenso wenig wie er sie. Zusammen hatten sie um ihr Überleben gekämpft, und nichts konnte zwei Menschen so eng aneinander binden wie die Erfahrung, gemeinsam dem Tod ins Auge geblickt zu haben. Und jetzt würden sie herausfinden, ob diese Bindung die Belastungsprobe einer ganzen Woche unter einem Dach, unter zivilisierten Bedingungen, überstehen würde.
    Als sie die Klingel hörte, trocknete sie sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und merkte, dass ihr Herz plötzlich heftig pochte. Entspann dich, er ist doch nur ein Junge, dachte sie, während sie die Haustür öffnete – und hätte im nächsten Moment fast das Gleichgewicht verloren, als ein riesenhafter schwarzer Hund sich auf die Hinterbeine stellte, um sie zu begrüßen, und die Vorderpfoten auf ihrer Brust parkte.
    »Bear! Platz , Junge!«, rief Rat.
    Sie lachte, als der Hund ihr vor lauter Begeisterung das Gesicht abschleckte. Dann ließ er sich auf alle viere nieder, wedelte mit dem Schwanz und bellte. Maura lächelte den Jungen an, der über das schlechte Benehmen seines Gefährten zutiefst entsetzt schien. »Na?«, fragte sie. »Willst du mich nicht auch begrüßen?«
    »Hallo, Ma’am«, sagte er und schlang linkisch die langen Arme um sie. Sie war verblüfft, wie groß er wirkte, wie viel Muskelmasse er zugelegt hatte, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. War es möglich, dass ein Teenager in ein paar Monaten so zulegte?
    »Du hast mir gefehlt, Rat«, murmelte sie. »Ihr habt mir beide so gefehlt.«
    Schritte knarrten auf den Verandastufen, und der Junge zog sich plötzlich von ihr zurück, als sei es ihm peinlich, dabei gesehen zu werden, wie er sie umarmte. Maura sah den Mann an, der hinter Rat aufgetaucht war. Anthony Sansone war immer eine Respekt einflößende Erscheinung gewesen mit seiner imposanten Statur und seiner verschlossenen Miene, doch an diesem düsteren Nachmittag lächelte er tatsächlich, als er Rats Rucksack auf der Veranda abstellte.
    »Bitte sehr, Julian«, sagte er.
    »Danke, dass Sie die lange Fahrt auf sich genommen haben, um ihn nach Boston zu bringen«, sagte sie.
    »Es war mir ein Vergnügen, Maura. So hatten wir Gelegenheit, uns ausgiebig zu unterhalten.« Er hielt inne und musterte ihr Gesicht, und wie immer schien er mehr zu sehen, als ihr lieb war. »Es ist lange her, dass wir uns zuletzt gesprochen haben. Wie geht es Ihnen?«
    »Gut. Ich habe viel zu tun.« Sie lächelte ein wenig gequält. »Über Mangel an Kundschaft kann ich mich nicht beklagen. Möchten Sie kurz hereinkommen?«
    Er sah den Jungen an, dessen Blick

Weitere Kostenlose Bücher