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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Iris unten im Wohnzimmer ihn nicht hören konnte. »Das behauptet sie jedenfalls.«
    »Du glaubst, sie ist uns gegenüber nicht aufrichtig?«
    »Ich weiß nicht. Die Sache ist …«
    »Was?«
    Er sprach noch leiser. »Sie wollte nicht, dass ich dich anrufe. Sie hat mich sogar gebeten, die ganze Sache zu vergessen. Das ist mir wirklich ein Rätsel.«
    Mir auch, dachte Jane und betrachtete stirnrunzelnd das Messer, das bis zum Heft in das Kissen gerammt war und das Foto fest in den Stoff hineindrückte. Es war ein Akt purer Rage, eine gezielte Einschüchterung. »Jeder andere würde nach Polizeischutz schreien.«
    »Sie beharrt darauf, dass sie nichts dergleichen braucht. Sie hat keine Angst, sagt sie.«
    »Können wir sicher sein, dass wirklich ein Fremder hier im Haus war?«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Sie könnte das hier selbst inszeniert haben. Sie musste nur ein Messer aus ihrer eigenen Küche nehmen.«
    »Warum sollte sie das tun?«
    »Es würde erklären, warum sie keine Angst hat.«
    »Aber so hat es sich nicht abgespielt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil ich dabei war, als sie es gefunden hat.«
    Jane fuhr zu ihm herum. »Du warst hier oben in ihrem Schlafzimmer?«
    »Schau mich nicht so an. Ich habe sie nach Hause begleitet, das ist alles. Dann haben wir bemerkt, dass ihre Haustür offen stand, also bin ich mit rein, um nach dem Rechten zu sehen.«
    »Okay.«
    »Mehr war da nicht!«
    Und warum schaust du dann so schuldbewusst drein? Sie starrte auf das durchbohrte und zerknitterte Foto. »Wenn ich nach Hause käme und so etwas vorfände, würde ich total in Panik geraten. Warum will sie dann nicht, dass wir der Sache nachgehen?«
    »Es könnte einfach mit ihrem kulturellen Hintergrund zu tun haben. Tam sagt, die Leute in Chinatown sind sehr misstrauisch gegenüber der Polizei.«
    »Ich wäre viel misstrauischer gegenüber dem Typen, der das hier getan hat.« Jane wandte sich zur Tür um. »Unterhalten wir uns doch mal mit Mrs. Fang.«
    Als sie ins Wohnzimmer kamen, saß Iris auf dem verblichenen braunen Sofa. Sie wirkte viel zu ruhig und gelassen für eine Frau, in deren Wohnung gerade eingebrochen worden war. Detective Tam ging im Zimmer auf und ab, das Handy ans Ohr gepresst. Der Blick, den er Jane zuwarf, schien zu sagen: Ich habe auch keine Ahnung, was hier abläuft.
    Jane setzte sich Iris gegenüber und betrachtete sie eine Weile schweigend. Die Frau erwiderte ihren Blick unverwandt, als hätte sie verstanden, dass dies ein Test war, und sich bereits für die Herausforderung gewappnet. Es war nicht der Blick eines Opfers.
    »Was glauben Sie, was hier vor sich geht, Mrs. Fang?«, fragte Jane.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ist bei Ihnen früher schon einmal eingebrochen worden?«
    »Nein.«
    »Wie lange wohnen Sie schon in diesem Haus?«
    »Fast fünfunddreißig Jahre. Seit mein Mann und ich in dieses Land gekommen sind.«
    »Kennen Sie irgendjemanden, dem Sie das zutrauen würden? Vielleicht irgendein Mann, mit dem Sie eine Beziehung hatten, jemanden, der wütend ist, weil Sie ihn zurückgewiesen haben?«
    »Nein.« Sie schien keine Sekunde nachdenken zu müssen, als sei dies die einzige Antwort, die sie zu geben bereit war. »Es gibt keinen Mann. Und es ist nicht nötig, dass die Polizei sich damit befasst.«
    »Jemand bricht in Ihr Haus ein. Jemand sticht ein Fleischermesser durch Ihr Foto und lässt es auf Ihrem Kopfkissen zurück. Die Botschaft könnte nicht klarer sein. Wer bedroht Sie?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und trotzdem wollen Sie nicht, dass wir der Sache nachgehen.«
    Die Frau hielt Janes Blick unerschrocken stand. Es war, als starrte man in zwei schwarze Seen, die nichts von dem preisgaben, was sich unter ihrer Oberfläche verbarg. Jane lehnte sich zurück und schwieg eine Weile. Sie sah, dass Tam und Frost ein wenig abseits standen und das Gespräch aufmerksam verfolgten. Drei Augenpaare waren auf Iris gerichtet, das Schweigen dehnte sich aus, und doch zeigte die Selbstbeherrschung der Frau keine Risse.
    Es wurde Zeit, die Sache etwas anders anzugehen.
    »Ich hatte heute ein interessantes Gespräch«, sagte Jane. »Mit Patrick Dion, dem Exmann eines Opfers des Red-Phoenix-Massakers. Von ihm erfuhr ich, dass Sie ihm und den anderen Familien jedes Jahr im März Botschaften mit der Post schicken.«
    »Ich habe niemandem Botschaften geschickt.«
    »Sie bekommen diese Briefe regelmäßig seit sieben Jahren. Immer am Jahrestag des Red-Phoenix-Massakers. Die Familien sind

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