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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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herzhaft in ein Stückchen durchscheinenden Schweineknorpel. Ich sehe zu, wie seine Augen sich vor Entzücken weiten, als hätte er gerade eine Offenbarung erlebt.
    »Das ist ja köstlich!«
    »Haben Sie das noch nie probiert?«
    »Ich war wohl nie besonders experimentierfreudig«, gibt er zu, während er sich das Chiliöl von den Lippen tupft. »Aber das soll sich jetzt alles ändern.«
    »Warum?«
    Er hält inne und denkt über die Frage nach, einen Streifen Qualle zwischen die Stäbchen geklemmt. »Ich nehme an … ich nehme an, es hat mit dem Älterwerden zu tun, wissen Sie? Mir wird immer mehr bewusst, wie wenig ich eigentlich erlebt habe. Und wie wenig Zeit mir bleibt, das alles nachzuholen.«
    Älterwerden . Darüber muss ich einfach lächeln, denn ich bin fast zwei Jahrzehnte älter als er, also muss ich für ihn geradezu uralt sein. Aber so sieht er mich nicht an. Ich ertappe ihn dabei, wie er mein Gesicht betrachtet, und als ich den Blick erwidere, werden seine Wangen plötzlich rot. Genau wie bei meinem Mann damals an unserem ersten Abend, einem Frühlingsabend mit dichtem Nieselregen, genau wie dieser. O James, ich glaube, du würdest diesen jungen Mann mögen. Er erinnert mich so an dich.
    Die Teigtaschen kommen, kleine weiche Kissen, prall gefüllt mit Schweinefleisch und Krabben. Ich sehe amüsiert zu, wie er sich vergeblich müht, die glitschigen Stückchen zu fassen zu bekommen, und sie schließlich mit den Essstäbchen auf seinem Teller herumschiebt.
    »Das war das Lieblingsgericht meines Mannes. Er konnte ein Dutzend davon verdrücken.« Ich lächle über die Erinnerung. »Er hat sich einmal erboten, einen Monat lang ohne Bezahlung hier zu arbeiten, wenn sie ihm nur das Rezept verraten würden.«
    »War er in Taiwan auch in der Gastronomie beschäftigt?«
    Ich sehe ihm in die Augen. »Mein Mann hat chinesische Literatur studiert. Er stammte aus einer alten Gelehrtenfamilie. Mit anderen Worten, er war nicht im Gastronomiegewerbe. Er hat nur gekellnert, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
    »Das habe ich nicht gewusst.«
    »Man macht es sich zu einfach, wenn man annimmt, dass die Kellner hier alle nur Kellner sind und die Verkäufer in den Läden nur Verkäufer. In Chinatown darf man die Menschen nie nach ihrem Äußeren beurteilen. Sie haben doch diese zerlumpten alten Männer gesehen, die unter dem Löwentor Dame spielen? Manche von ihnen sind Millionäre. Und die Frau da drüben hinter der Kasse, die stammt aus einer Familie von kaiserlichen Generälen. Die Menschen sind hier nicht, was sie scheinen, und deshalb sollten Sie sie niemals unterschätzen. Nicht in Chinatown.«
    Er nickt betreten. »Das werde ich nicht. Jetzt nicht mehr. Und es tut mir leid, Mrs. Fang, wenn meine Bemerkung über Ihren Mann in irgendeiner Weise respektlos geklungen haben sollte.« Seine Entschuldigung klingt absolut aufrichtig – noch ein Grund, warum ich diesen Mann so interessant finde.
    Ich lege meine Stäbchen hin und betrachte ihn. Jetzt, nachdem ich gegessen habe, fühle ich mich endlich in der Lage, das Thema anzusprechen, das unsere Mahlzeit die ganze Zeit überschattet hat. Die laute Familie am Nebentisch ist fertig und bricht geräuschvoll auf. Als sie das Restaurant verlassen haben, ist es mit einem Mal auffallend still.
    »Sie sind gekommen, um mich nach meiner Tochter zu fragen. Warum?«
    Er lässt sich einen Moment Zeit mit der Antwort, während er sich die Hände abwischt und die Serviette sauber zusammenfaltet. »Haben Sie je den Namen Charlotte Dion gehört?«
    Ich nicke. »Sie war die Tochter von Dina Mallory.«
    »Wissen Sie, was mit Charlotte passiert ist?«
    »Detective Frost«, sage ich und seufze, »ich habe das alles durchlebt, und deshalb sind diese Ereignisse für alle Zeiten hier eingebrannt.« Ich tippe mir an den Kopf. »Ich weiß, dass Mrs. Mallory schon einmal verheiratet war, mit einem Mann namens Patrick Dion, und dass sie eine Tochter mit Namen Charlotte hatten. Ein paar Wochen nach der Schießerei verschwand Charlotte. Ja, ich weiß alles über die Opfer und ihre Familien, weil ich auch zu ihnen gehöre.« Ich sehe auf meinen leeren, fettglänzenden Teller. »Ich bin Mr. Dion nie begegnet, aber nach dem Verschwinden seiner Tochter habe ich ihm eine Beileidskarte geschrieben. Ich weiß nicht, ob er noch etwas für seine Exfrau empfand oder ob er um sie trauerte. Aber ich weiß, wie es ist, ein Kind zu verlieren. Ich habe ihm gesagt, wie leid es mir für ihn tut. Dass ich seinen

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