Grabesstille
des Kochs habe die Küche durch diese Tür betreten. Sie hörte einen Schuss, ging hinunter, um nach ihrem Mann zu sehen, und fand ihn tot in der Küche.«
»Wenn diese Tür unverschlossen war«, meinte Jane, »dann könnte theoretisch auch ein Eindringling auf diesem Wege hineingelangt sein.«
Kwans Blick ging zwischen den beiden Detectives hin und her; er wirkte verwirrt. »Was für Eindringling? Koch hat sich selbst getötet.«
»Wir überprüfen den Vorfall noch einmal, Mr. Kwan«, sagte Frost. »Nur um sicherzustellen, dass nichts übersehen wurde.«
Der Makler schüttelte bestürzt den Kopf. »Das war sehr schlimme Sache für Chinatown«, murmelte er. Zweifellos sah er nun auch seine letzte Hoffnung schwinden, dieses fluchbeladene Haus endlich loszuwerden. »Besser, ganze Sache zu vergessen.« Er sah auf seine Uhr. »Wenn Sie hier fertig, wir gehen, okay? Ich schließen ab.«
Jane sah nach oben. »Wu Weimin und seine Familie haben im ersten Stock gewohnt. Könnten Sie uns in die Wohnung führen?«
»Nichts zu sehen«, erwiderte Kwan.
»Wir müssen trotzdem einen Blick hineinwerfen.«
Er seufzte tief, als ob sie von ihm einen Gefallen verlangten, der jedes menschliche Maß überstieg. Wieder holte er seinen schweren Schlüsselring hervor und machte sich an die mühselige Prozedur, den richtigen zu finden. Nach der Anzahl der Schlüssel zu urteilen, die an dem riesigen Ring baumelten, war dieser Mann der Herr über mindestens die Hälfte aller Immobilien in Chinatown. Endlich wurde er fündig und führte sie zur Hintertür hinaus in die Gasse.
Wie der Vordereingang des Red Phoenix war auch die Tür zu den Wohngeschossen mit einem Stahlgitter gesichert. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, und Frost musste das Schloss mit seiner Taschenlampe anleuchten, damit Kwan den Schlüssel einführen konnte. Rostige Scharniere quietschten, als er das Tor aufdrückte, dann musste er noch einen zweiten Schlüssel in ein anderes Schloss stecken, um die innere Tür zu öffnen.
Drinnen herrschte schwärzeste Finsternis. Das Treppenhauslicht war kaputt, also schaltete Jane ihre Taschenlampe ein und erblickte Stufen, die nach oben führten; ein Treppengeländer, glatt poliert vom Fett unzähliger Hände, die über das Holz geglitten waren. Die Dunkelheit schien das Knarren ihrer Schritte zu verstärken, und hinter sich hörte Jane, wie Mr. Kwan sich schwer atmend von Stufe zu Stufe schleppte.
Am oberen Treppenabsatz blieb sie vor der Wohnungstür stehen. Sie war nicht verschlossen, dennoch zögerte Jane, scheute vor dem Anblick dessen zurück, was sie dahinter erwartete. Sie stand da wie erstarrt, die Hand auf dem Knauf, und spürte das eiskalte Metall an ihrer Haut. Erst als sie hörte, dass Mr. Kwan ebenfalls die letzte Stufe erklommen hatte und keuchend hinter sie trat, stieß sie endlich die Tür auf.
Zusammen mit Frost betrat sie die Räume, in denen einst Wu Weimin mit seiner Familie gewohnt hatte.
Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, sodass kein Licht von draußen hereinfiel. Obwohl die Wohnung schon seit Jahren leer stand, konnten sie noch die Gerüche wahrnehmen, die ihre Bewohner hinterlassen hatten. Ein Hauch von Räucherwerk und Orangen hing in der Luft, gefangen in der Dunkelheit wie in einer Gruft. Als der Strahl ihrer Taschenlampe über die Dielen huschte, sah sie Dellen und Kratzer, Spuren von hundert Jahren der Abnutzung; Narben, hinterlassen von scharrenden Stuhlbeinen und verschobenen Möbeln.
Sie ging weiter zu einer Tür am anderen Ende des Zimmers, und als sie über die Schwelle trat, schien der Räucherduft stärker zu werden, schienen die Geister zum Greifen nahe. Auch hier waren die Fenster mit Brettern verdeckt, und die Taschenlampe schien zu schwach, um den Vorhang der Dunkelheit zu durchdringen. Jane leuchtete die Wand an, sah alte Nagellöcher und ein Rorschachmuster aus Schimmelflecken.
Ein Gesicht starrte ihr entgegen.
Ihr stockte der Atem, sie prallte zurück und stieß gegen Frost.
»Was ist?«, fragte er.
Der Schreck hatte ihr die Sprache verschlagen; sie konnte nur mit ihrer Lampe das gerahmte Porträt anleuchten, das an der Wand hing. Als sie darauf zuging, wurde der Geruch nach Räucherwerk überwältigend. Unter dem Bildnis stand ein niedriger Tisch, auf dem sie Reste von Räucherstäbchen erblickte, heruntergebrannt bis auf kurze Stummel inmitten von Aschehaufen. Auf einem Porzellanteller lagen fünf Orangen.
»Das ist er«, murmelte Frost. »Das ist ein Foto des
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