Grabesstille
Bogen um jede Kamera, also haben die Dinger doch eine gewisse abschreckende Wirkung.«
»Da haben wir ja Glück, dass die Kamera in der Knapp Street echt ist«, sagte Jane.
»Stimmt. Wir haben rund achtundvierzig Stunden Material von dort gespeichert.« Er führte sie in ein Hinterzimmer, wo bereits vier Stühle um den Monitor herum aufgestellt waren. »Das reicht in der Regel aus, um die relevanten Aufnahmen noch auf Lager zu haben, wenn wir über einen Vorfall informiert werden. Diese Kamera wurde vor ungefähr fünf Jahren installiert. Das letzte Mal, als wir um Aufnahmen von dort gebeten wurden, haben wir einen jungen Kerl erwischt, der ein Fenster eingeschlagen hatte.« Er setzte sich vor den Monitor. »Sie sagten, Sie interessieren sich für die Feuertreppe im Bereich des ersten Stocks?«
»Ich hoffe, Ihre Kamera hat die Stelle erfasst«, sagte Jane. »Das Gebäude, um das es geht, ist rund zwanzig Meter entfernt.«
»Ich weiß nicht. Könnte zu weit sein, um irgendwelche Details zu erkennen, und der erste Stock ist vielleicht nicht mehr im Bild. Und die Auflösung ist auch relativ niedrig. Aber schauen wir mal.«
Während die drei Detectives sich um den Monitor drängten, klickte Gilliam auf Play , worauf ein Livebild der Knapp Street erschien. Man sah zwei Passanten, die in Richtung Kneeland Street gingen, mit dem Rücken zur Kamera.
»Da«, sagte Frost. »Man kann gerade noch eine Ecke der Feuertreppe sehen.«
»Aber leider nicht das Fenster selbst«, stellte Jane fest.
»Es könnte trotzdem reichen.« Frost beugte sich weiter vor, um das Datum und die Uhrzeit vom Monitor abzulesen. »Gehen Sie ungefähr zwei Stunden zurück. Auf halb acht. Mal sehen, ob die Kamera unseren Eindringling erwischt hat.«
Gilliam spulte zurück auf 19:30 Uhr.
Um 19:35 Uhr ging eine ältere Frau die Knapp Street entlang, schwer beladen mit Einkaufstaschen.
Um 19:50 Uhr tauchte Johnny Tam vor dem Red Phoenix auf. Er spähte durchs Fenster, sah auf seine Uhr und trat dann durch die unverschlossene Eingangstür ein. Kurz darauf kam er wieder heraus und blickte zu den Fenstern der Wohnung im ersten Stock hinauf. Dann verschwand er um die Hausecke.
Um 20:06 Uhr war eine ruckartige Bewegung an der Feuertreppe zu sehen. Es war Frost, der ein wenig unbeholfen aus dem Fenster purzelte. Er rappelte sich schnell auf und verschwand aus dem Bild.
»Das ist doch …«, murmelte Frost. »Wieso sieht man da vor mir nichts rauskommen? Ich weiß doch, dass ich das Ding die Treppe hochgejagt habe.«
»Es taucht aber nicht auf«, sagte Jane.
»Und da bist du, Rizzoli. Wieso ist Tam denn nicht zu sehen? Er war doch direkt hinter mir.«
Tam schnaubte. »Vielleicht bin ich ja ein Geist.«
»Das Problem ist der Bildausschnitt«, meinte Gilliam. »Wir haben nur eine Ecke der Feuertreppe drauf, und deshalb wird jemand, der sich beim Ein- oder Aussteigen ein wenig … äh, geschmeidiger bewegt, von der Kamera nicht erfasst.«
»Mit anderen Worten, Frost und ich würden ziemlich miserable Fassadenkletterer abgeben«, sagte Jane.
Gilliam grinste. »Während Ihr Kollege Detective Tam ein ziemlich guter wäre.«
Jane seufzte. »Die Kamera hat den Eindringling also nicht erfasst.«
»Ja, wenn wir davon ausgehen, dass er nur dieses eine Mal eingestiegen ist.«
Jane erinnerte sich an den Räucherduft, an die frischen Orangen auf dem Teller. Irgendjemand besuchte regelmäßig diese Wohnung und hinterließ Opfergaben zum Andenken an Wu Weimin. »Gehen Sie zwei Tage zurück«, sagte sie. »Und dann lassen Sie es ab da vorlaufen.«
Gilliam nickte. »Einen Versuch ist’s wert.«
Auf dem Monitor lief die Zeitanzeige rückwärts bis 21:38 Uhr, achtundvierzig Stunden zuvor. Gilliam schaltete wieder auf schnellen Vorlauf, und in der Zeit bis gegen Mitternacht sah man mehrfach Passanten mit ruckartigen Bewegungen vorüberhuschen. Doch um zwei Uhr früh lag die Knapp Street verlassen, und der Bildausschnitt blieb unverändert; nur dann und wann wehte der Wind einen Fetzen Papier über den Asphalt.
Um 3:02 Uhr sah Jane es.
Es war nur ein zuckender Schatten auf dem Absatz der Feuertreppe, doch es genügte, um sie aufgeregt auf ihrem Stuhl vorrücken zu lassen. »Stopp! Gehen Sie zurück!«, kommandierte sie.
Gilliam spulte das Video zurück und hielt es an, als ein Schatten die Feuertreppe verdunkelte.
»Viel ist da ja nicht zu sehen«, sagte Tam. »Könnte auch bloß eine Katze sein, die diesen Schatten wirft.«
»Wenn jemand in dieses Gebäude
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