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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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besser beibringen, wie man mit Bingle arbeitet, als David selbst.«
     
    Zuerst machte es Ben schwer zu schaffen, sich die Bänder anzusehen, genau wie mir. Das hier war David zu seinen besten, seinen glücklichsten Zeiten, und die Bänder dienten als Erinnerung daran, wen wir verloren hatten. Wenn man Bingle mit ihm trainieren sah, wurde klar, dass sie phänomenal zusammenarbeiteten und David das Beste aus der Intelligenz und den Fähigkeiten des Hundes herausholte.
    Seit Davids Tod, dachte ich, musste sich Bingle in der Gesellschaft von Blödmännern wähnen.
    Irgendwann hielt Ben das Band an. Ich hörte, wie er ein Schluchzen unterdrückte.
    »Wollen Sie lieber warten und es sich ansehen, wenn Sie sich wohler fühlen?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Es gibt kein ›Wohlerfühlen‹ in Bezug auf Davids Tod. Ich kann mich höchstens daran gewöhnen.«
    Er drückte wieder auf »Play«. Das Band, das er sich ansah, war im Sommer aufgezeichnet worden. An seinem Ende kamen Aufnahmen von einem ausgelassenen Schwimmvergnügen mitsamt den Hunden. Ich lachte mit Ben über Bingles Kapriolen im Pool, als ich etwas sah, das mich scharf nach Luft schnappen ließ.
    Ben hörte es und hielt erneut das Band an. »Was ist denn?«
    »Es tut mir Leid – das wusste ich nicht.«
    Er blickte auf den Bildschirm und sah, was mich erschreckt hatte. »Seinen Rücken meinen Sie? Die Narben?«
    »Ja.«
    »Die schlimmsten stammen von einem Heizkörper.«
    »Ein Unfall?«, fragte ich hoffnungsvoll, wobei ich wusste, dass dem nicht so war.
    »Nein. David wurde als Kind misshandelt.«
    Ich brachte kein Wort heraus.
    »Er muss sich unter den Leuten aus dieser Gruppe sehr wohl gefühlt haben«, fuhr Ben fort. »Normalerweise hat er in Gegenwart anderer nie sein Hemd ausgezogen, und wenn er nicht auf jemand anderen gestoßen ist, der misshandelt wurde, hat er auch nie von seiner Kindheit gesprochen.« Er hielt inne. »Bitte sagen Sie das nicht weiter.«
    Ich versprach es. »So langsam verstehe ich, warum er nicht der Meinung war, dass Parrishs Kindheit ihn entschuldigte.«
    »Ja«, sagte Ben. »Darüber haben wir uns auch auseinander gesetzt. David war ein leuchtendes Beispiel dafür, dass nicht alle misshandelten Kinder später verkorkste Seelen werden, sondern viele auch die Schrecknisse ihrer Kindheit überwinden. Aber ich habe immer zu ihm gesagt, dass nicht alle aus dem gleichen Holz geschnitzt sind wie er, dass nicht jeder so stark ist. Nicht jeder könnte das bewältigen, was er bewältigt hat.«
    Ich dachte an Nicholas Parrish. »Vielleicht gibt es auch ein paar, die es nicht bewältigen wollen.«
    »Vielleicht.«
    Er drückte erneut auf die Play-Taste und sah wieder David zu.
     

35
     
    DIENSTAG, 30. MAI, FRÜHER NACHMITTAG
    Las Piernas
     
    Die Motte stand still, lauerte, lauschte. Die Tür hinten in der Garage war gut versteckt. Es gab einen hohen Zaun und eine Baumreihe, die den Hundezwingern Schatten spendete. Die Zwinger waren leer, aber sauber.
    Ein Hund in der Nachbarschaft bellte, aber sonst schien niemand etwas zu bemerken. Werktags waren zu dieser Zeit die meisten Anwohner in der Arbeit und ihre Kinder in der Schule.
    Es gab eine alte Frau auf der anderen Straßenseite, die vielleicht aus ihrem Fenster in das Haus des Toten hätte schauen können, aber wenn, dann wäre es ihr schwer gefallen, die Person zu beschreiben, die sie in den Garten hinterm Haus hatte gehen sehen. Ein Handwerker, hätte sie wahrscheinlich vermutet, angesichts des großen Werkzeugkastens (so gut wie leer), des dunklen Overalls, der Stiefel, der ledernen Arbeitshandschuhe und der Schirmmütze, die tief ins Gesicht der Motte gezogen war. Vielleicht wäre ihr ein leichtes Hinken aufgefallen.
    Die Motte bückte sich, um den Werkzeugkasten zu öffnen, und hielt dann einen Moment inne, um eine Reihe von Trophäen darin zur Hand zu nehmen: Ablasspfropfen.
    Nicht jeder hätte diese mit Treibstoff überzogenen Metallstücke als Schätze betrachtet, und Nicky wäre vermutlich ärgerlich geworden, wenn er gewusst hätte, dass die Motte sie behalten hatte. Aber Nicky war nicht hier, oder?
    An ihrem angestammten Platz gehörten diese kleinen Lieblinge unter Hubschrauber. Indem sie sie entfernt hatte, hatte die Motte dafür gesorgt, dass die Hubschraubereinheit des Forest Service, die der Wiese am nächsten war, am Boden blieb.
    Die Zeitung hatte sogar einen eigenen Artikel über die Schläue dieses Schachzugs gebracht – einen Artikel, den die Motte jeden

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